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Drei Rezepte für kreative Quartiersentwicklung

Interviews mit engagierten AkteurInnen aus den Kreativ.Quartieren Witten Wiesenviertel, Hagen Wehringhausen und City Nord.Essen

© Dana Schmidt

Vernetzung und Austausch zwischen AkteurInnen aus Kultur und Kunst, Wirtschaft und den Kommunen gehören zu den grundlegenden Pfeilern für eine nachhaltige Entwicklung von kreativen urbanen Räumen. Das Zusammenbringen von verschiedenen Erfahrungswerten und Blickwinkeln schafft ein besseres Verständnis für Herausforderungen und Potenziale. Vom Bottom-Up-Prozess, über Städtebauförderungsprogramme wie „Soziale Stadt“ bis hin zur Entwicklungsinitiative durch die Stadt selbst, - die Entwicklungsansätze der Quartiere sind unterschiedlich und es ist es wichtig, auf die spezifischen Voraussetzungen der Quartiere einzugehen.

Witten: Irja Hönekopp zum ehrenamtlichen Engagement im Wiesenviertel


Irja Hönekopp ist die Vorsitzende des Vereins Wiesenviertel e.V., der sich gemeinsam mit den AnwohnerInnen und GeschäftsinhaberInnen für kulturellen Aktivitäten im Quartier engagiert. Das Kreativ.Quartier Wiesenviertel liegt zentral in der Wittener Innenstadt und findet seinen Ursprung in der Anfang 2010 entstandenen Initiative Stellwerk Witten e.V., welche diverse Kultur- und Stadtentwicklungsprojekte umsetzte.


1. Was sind deine Lieblingsorte im Wittener Wiesenviertel?


Mein großer Lieblingsort ist das „lokal.“. Anfang 2019 haben wir erfahren, dass ein Stoffladen in der Wiesenstraße, direkt gegenüber den Kneipen „Knut’s“ und „raum […]“ sowie „Klimbim“ aufhört. Für uns war das der Moment zu überlegen, ob wir eine analoge Anlaufstelle für den Wiesenviertel e.V. schaffen können und gleichzeitig einen Möglichkeits- und Projektraum, in dem man sich ausprobieren kann, den wir AkteurInnen und Einzelpersonen zur Verfügung stellen können. Wir haben das lokal. gestrichen, Tische gebaut, eine schlichte Einrichtung erdacht, die gleichzeitig warm wirkt und haben nun ein riesiges Schaufenster ins Viertel. Seit Juni 2019 ist das lokal. nun da, bis heute. Ein Lieblingsort – ein gemeinsames Projekt, das Realität geworden ist.
Ein weiterer Lieblingsort ist der Brunnen in der Wiesenstraße. Urban Gardening ist hier seit Jahren ein Thema, immer mal wieder in unterschiedlichen Konstellationen. Zunächst ein rein studentisches Projekt, dann hat die Naturschutzgruppe Witten es übernommen, dann der „Blumenpott“. Aktuell ist es „Witten wurzelt“, eine Gruppe, die Paten aus Landwirtschaft und lokalem Gewerbe gesucht hat und damit ein bisschen Landwirtschaft in die Stadt bringt.
Ein Zukunfts-Lieblingsort ist unser Parklet. Direkt vor dem lokal. soll in Kürze ein Stellplatz wegfallen und zum Aufenthaltsort für die AnwohnerInnen werden. Die Finanzierung läuft über den Quartiersfonds des Innenstadtprojektes der Stadt Witten. Ein Design gibt es schon und viele Spenderinnen und Spender, die uns helfen, den Eigenanteil zu stemmen. Ich bin schon sehr gespannt auf unser Parklet.


2. Witten ist ein gutes Beispiel für einen aktiv gelebten Bottom-Up Ansatz. Was ist das Geheimnis dieser besonderen Eigendynamik des Quartiers?


Das Geheimnis ist, den Mut vorzuleben und zu machen. Und dabei ist es, glaube ich wichtig, aktiv und respektvoll auf andere Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven zuzugehen, Ideen aufzuzeigen und sich gegenseitig machen zu lassen. Dies hat in Witten viele überzeugt. Es hat auch einen Weg zur Koproduktivität aufgezeigt. Verwaltung kann private Initiative unterstützen und umgekehrt. Inzwischen ist der Wiesenviertel e.V. längst nicht mehr alleiniger Player im Wiesenviertel, es sind kleinere und größere Initiativen entstanden, die alle einen Beitrag zum gesamten Bild des Viertels geben, in ihrem Rahmen Schaffbares und eigene Ideen umsetzen. Wichtig ist weiterhin einen gemeinsamen Ausgangspunkt oder Punkt der Zusammenarbeit zu haben, ein Bild das gemeinsam transportiert wird und AnsprechpartnerInnen, die einem das Netzwerk öffnen. Hier ist der Wiesenviertel e.V. Schnittstelle.


3. Arbeit, Privatleben und gleichzeitig Ehrenamt? Was motiviert AkteurInnen im Quartier, Kunst möglichst dauerhaft zu engagieren?


Hm, das ist gar nicht so einfach. Es ist immer wieder eine Herausforderung. Das Viertel motiviert. Es motiviert, wenn Dinge entstehen. Es ist total schön, wenn aus einem Grundgefühl immer wieder neue Ideen bei den einen oder anderen entstehen. Vielleicht muss man das Verbindende in vielen Einzelteilen sehen und immer wieder den Rahmen neu setzen. Trotzdem muss man auf sich aufpassen. Am besten gegenseitig.

 

Hagen: Maik Schumacher über soziokulturelles Flair in Wehringhausen


Maik Schumacher ist im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ Quartiersmanager und kümmert sich um die kulturellen, baulichen und gewerblichen Belange des Stadtteils. Das Kreativ.Quartier Wehringhausen grenzt an die westliche Innenstadt Hagens und gehört zum Stadtbezirk Hagen-Mitte. Wehringhausen ist für sein soziokulturelles Zentrum „Pelmke“ und seine kreative Szene aus KünstlerInnen, FreiberuflerInnen, MusikerInnen und engagierten MacherInnen bekannt, welche ursprünglich in den 70er und 80er Jahren vor allem mit einer regen MusikerInnenszene begann.


1. Wie würdest du das Kreativ.Quartier Hagen Wehringhausen in drei Sätzen beschreiben?


Wehringhausen ist ein kreatives und alternatives Dorf in der Stadt Hagen, dessen kreative Basis auf einer authentischen Vergangenheit beruht. Malerei, eine politische Szene und Musikkultur haben Ende des 20. Jahrhunderts eine Kultur begründet, die bis heute spürbar ist und -in anderer Form- weiterhin existiert. Man kennt sich, läuft sich über den Weg, wohnt im (recht kostengünstigen) Altbau und muss für das tägliche Leben nicht den Stadtteil verlassen und wenn doch, dann geht man einfach 15 Minuten in Richtung Süden bergauf und ist im Sauerland!


2. Das Kulturzentrum Pelmke ist eine „Institution“ im Quartier: Was können soziokulturelle Zentren für die Quartiersentwicklung leisten?


„Die Pelmke“ ist vor allem ein konkreter besuchbarer und öffentlicher Ort, an dem Kommunikation, Kultur und Kunst einen Platz finden, um ganz physisch stattzufinden. Die dort wirkenden Personen können im Rahmen verfügbarer Zeitressourcen lokale AkteurInnen unterstützen oder ganz konkret auch mal bei Formalia im Zusammenhang mit einem Förderantrag unterstützen. Kulturzentren denken den Stadtteil von der Kultur her. Darum sind Kulturzentren gute mögliche Multiplikatoren für eine lokale kreative Szene.
Kulturzentren haben aber auch zu den Stadtverwaltungen einen Draht und könnten Themen/Projektideen/Probleme ggf. transportieren und zu einem Austausch zwischen lokaler Szene, BürgerInnen und Stadtverwaltung beitragen, sofern personelle Ressourcen dies erlauben. Ein soziokulturelles Zentrum kann zudem ein konkreter Grund sein, in einen Stadtteil zu ziehen, wenn das gebotene Kulturprogramm (Konzerte, Programmkino, Kneipe, Clubabende, …) eine gute Qualität hat.


3. Das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ wirkt in Wehringhausen seit 2011. Wie hat der integrierte und nachhaltige Ansatz des Programms auch die freie Kulturszene in Wehringhausen unterstützt?


Eine Unterstützung kann grundsätzlich durch folgendes geleistet werden: Finanzielle Förderung, Vernetzung der AkteurInnen, Vermittlung von konkreten Kontakten. Das Quartiersmanagement hat sowohl den Zugang zu finanziellen Förderzugänge geebnet, viele kreative und soziokulturelle Projekte über den Verfügungsfonds der „Sozialen Stadt“ gefördert und auch die Vernetzung zu konkreten Personen geschaffen: Anlassbezogen wurden AnsprechpartnerInnen vermittelt, um Vorhaben zu unterstützen.
Insgesamt wurde bei vielen AkteurInnen der Blick auf den Stadtteil als „Kreativ.Quartier“ fokussiert und als lokale Stärke des Stadtteils weiter etabliert. Ein Ziel muss es sein, diesen Blick weiter zu stärken und nach Beendigung der Förderung durch die „Soziale Stadt“ einen Anker durch Personen und/oder Orte zu finden, der sich weiter unterstützend kümmert.

 

Essen: Stefan Schindler-Schulze und Romana Milovic zur gesamtstädtischen Strategie in der Quartiersentwicklung


Romana Milovic ist Leiterin der Stabstelle Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt Essen. Stefan Schindler-Schulze ist im Kulturamt der Stadt Essen Ansprechpartner für die Entwicklung von Kulturprojekten. Das Kreativ.Quartier City Nord.Essen liegt in der nördlichen Innenstadt Essens. Durch die Ansiedlung und Unterstützung von KünstlerInnen und Kreativen wird die Quartiersentwicklung durch das Kulturamt und seine KooperationspartnerInnen initiiert und vorangetrieben.
 
1. Was macht das Quartier City Nord.Essen besonders für Studierende und Kulturschaffende spannend, die sich in der Szene etablieren wollen?


Milovic: Das Quartier ist bunt, chaotisch und vernetzt: Ein lebendiger, lokaler Raum in einer der größten deutschen Städte, ein urbaner und kreativer Mikrokosmos, der Freiräume zulässt und Zusammenarbeit ermöglicht. Für Studierende und Kulturschaffende ist das spannend - und auch für die Wohnbevölkerung. Ich arbeite in der City Nord und beobachte, dass das Quartier sich ständig verändert. Die bestehenden kreativen und kulturellen Netzwerke wachsen und neue entstehen. Genau darin liegt die Chance für Kulturschaffende und Studierende - und der Reiz der City Nord.Essen.

 

Schindler-Schulze: In der City Nord sind die Immobilien- und Flächenentwicklungen wunderbar ungewöhnlich und alles andere als langweilig und konform. Dabei geht es nicht um internationale Stararchitektur, sondern um eine Stadtentwicklung, die strukturell ein wenig anders, vielleicht sogar manchmal widersprüchlich ist. Spannende Neubauprojekte sind entstanden, wir arbeiten viel im Bestand und befördern zudem privatwirtschaftliches Engagement. In der Folge haben sich zahlreiche KünstlerInnen und Kreative im Quartier angesiedelt und die Community wächst weiter.

 

2. Im Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft verbindet die Stadt Essen große Vorhaben: Was ist auch mit Blick auf das Kreativ.Quartier City Nord.Essen geplant?


Milovic: Die Stadt Essen hat gemeinsam mit zahlreichen anderen AkteurInnen eine gesamtstädtische Strategie zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft entwickelt. In der City Nord.Essen wird eine zentrale Anlaufstelle für Kulturschaffende und Kreative entstehen, die Orientierungs-, Beratungs- und Qualifizierungsangebote bündelt. Die City Nord ist dabei ein idealer Standort. Hier sind, oft begleitet und initiiert vom Kulturamt, bereits zahlreiche kreative und kulturelle Projekte umgesetzt worden - und weitere werden folgen. Mitten in diesem Kreativ.Quartier kann das Team der Anlaufstelle Veränderungsprozesse unmittelbar begleiten und dabei die hier ansässigen Kreativen und Kulturschaffenden optimal einbinden und beteiligen.

 

Schindler-Schulze: Die City Nord spielt eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, in Essen auch weiterhin adäquate Räume und Experimentierflächen für Kulturschaffende und Kreative anbieten zu können und gleichzeitig Leerstände zu bekämpfen, zum Beispiel von Einzelhandelsflächen. Schon jetzt unterstützt die neue Anlaufstelle im kleinen Rahmen Kulturschaffende und Kreative bei der Suche nach Räumen, die den speziellen Anforderungen der Branche gerecht werden. Die City Nord hat da ein enormes Potenzial. Der Ausbau von Services der Anlaufstelle wird Ansiedlungen erleichtern bzw. befördern und die City Nord als ein wesentliches Kreativquartier innerhalb unserer Stadt weiterentwickeln.

 

3. In der City Nord.Essen gibt es z.B. mit der Allbau ein engagiertes Immobilienunternehmen im Quartier. Was können Kooperationen dieser Art leisten und wie können diese die Entwicklung des Quartiers vorantreiben?


Schindler-Schulze: Eine ganze Menge! Für Allbau sind Immobilien nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Sozialgut und Stadtentwicklungsaspekte werden stets mitgedacht. Das zeigt das Engagement in der City Nord, dem Sitz des Unternehmens. Der Bau der Kastanienhöfe mit seinen vielfältigen Nutzungen und Funktionen war der Nukleus für die weitere Revitalisierung der City Nord. Darauf folgten viele weitere Projekte und andere städtebauliche Maßnahmen stehen aktuell an, so zum Beispiel rund um den Weberplatz. Die Allbau GmbH errichtet neue Immobilien und verbessert Gebäudequalitäten. Als verlässlicher Partner leistet sie einen wertvollen Beitrag zur Umgestaltung der Innenstadt.

 

Milovic: Die Allbau GmbH initiiert und begleitet die Veränderungsprozesse in der City Nord außerordentlich engagiert und positiv. Das Unternehmen hat bereits seit einigen Jahren Themen wie Zwischen- und Parallelnutzungen sowie Multicodierungen in die Entwicklung der City Nord integriert – ob durch Kunst im öffentlichen Raum, Kooperationen mit dem Einzelhandel und der Gastronomie oder der Umnutzung freier Flächen für die Nachtkultur. Die Zusammenarbeit mit Allbau ist ein Glücksfall – für die Kultur- und Kreativwirtschaft und für uns.

 

Quartiersentwicklung braucht Mut und Vermittlung


Für eine erfolgreiche Quartiersentwicklung gibt es nicht das eine Rezept. Jedoch sind einige Zutaten nicht wegzudenken: Engagement muss sowohl auf Seiten der BürgerInnen und Kulturschaffenden als auch auf Seiten der Kommune aufgebracht werden. Es braucht zudem VermittlerInnen zwischen diesen AkteurInnen, da nicht immer die gleiche Sprache gesprochen wird, die Ziele sich aber gar nicht so sehr unterscheiden. Weitere wichtige Aspekte sind Mut, Respekt und Gemeinschaftlichkeit. Es motiviert ein Teil eines großen Puzzles zu sein, das am Ende ein Ganzes ergibt. Und dieses Ganze braucht besuchbare Orte, an denen physisch Kultur passieren kann.

Die Interviews führte das Team Kreativ.Quartiere Ruhr für die Vernetzungsinitiative "Gemeinsam fürs Quartier" .


Eine Förderung durch das Projekt Kreativ.Quartiere Ruhr in der Kulturmetropole Ruhr erfolgt – im Rahmen der Nachhaltigkeitsvereinbarung zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 – durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und wird umgesetzt von der ecce GmbH – european centre for creative economy.