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Materialverwaltung Ruhr - ohne Verortung keine Verstetigung

Nach seiner erfolgreichen Testphase in Bochum und Oberhausen sucht das zukunftsweisende Konzept ein permanentes Zuhause im Ruhrgebiet.

© Logo Materialverwaltung

Es ist Freitagnachmittag und die Materialverwaltung on Tour öffnet wieder einmal ihre Türen. Zusätzlich zum Tagesgeschäft steht heute ein Sticker-Workshop auf dem Programm. Es herrscht reges Treiben; ein älterer Herr trägt überdimensional große Lampen heran, die er spenden möchte und zwei Damen bringen Bastelzeug vorbei. Wer im vergangenen Winter im Supermarkt der Ideen war, wird das leerstehende Geschäft in der Oberhausener Innenstadt nicht mehr wiedererkennen: Hier kann man durch Themenwelten wandeln, durch Gucklöcher der Paravents und Kulissen unverhoffte Schätze erspähen und Materialien und Möbel verschiedenster Couleur bewundern.

Seit Anfang Oktober ist die Materialverwaltung on Tour im Oberhausener Supermarkt der Ideen untergekommen, nachdem sie ihre Testphase am Bochumer Colosseum im Rahmen des Ruhr Ding: Territoriender Urbanen Künste Ruhr begonnen hatte.
Möglich wurde die temporäre Verortung in Oberhausen durch den IKF Feuerwehrtopf
Doch auch diese Bleibe ist nur temporär, ab Mitte November ist die Materialverwaltung wieder heimatlos. Dabei ist der Versuch, das bereits seit 2013 in Hamburg erprobte und etablierte Konzept auch im Ruhrgebiet zu verorten mehr als sinnvoll:

Wer je im Messebetrieb oder in der Eventbranche gearbeitet hat, weiß um die unschöne Realität am Ende einer Veranstaltung: Teppiche, Dekorations-Material, ganze Stände werden abgerissen und landen im Müll. Kaum anders verhält es sich im professionellen Theater- oder Filmbetrieb:

Vor der Premiere ist nach der Premiere, einer Produktion folgt die nächste. Allein aus logistischen Gründen müssen Produktionshäuser regelmäßig ihren Fundus aussortieren, um neuen Bühnenbildern und Requisiten Platz zu machen. Unter finanziellen Gesichtspunkten ist die Entsorgung sogar meist günstiger als Einlagerung oder die Aufarbeitung zur Wiederverwendung - nachhaltig ist das jedoch nicht.

Zumal die Bedürfnisse der freien Künstler- und Theaterszene diesem Umstand geradezu diametral gegenüberliegt: Ihr fehlt es oft an finanziellen Mitteln für Bühnenbilder, Kulissen, Stoffe, Ausstattung, Materialien und Requisiten - von den Kapazitäten für eine Lagerung ganz zu schweigen.

Genau in diesem Punkt setzt das Konzept der Materialverwaltung an. Sie sammelt Requisiten, Kulissen, Beleuchtungen, Mobiliar etc. in einem zentralen Lager und schafft so einen offenen und gemeinnützigen Fundus, der sowohl als Annahme- als auch Verleihstelle fungiert. Die freien Szenen, Kinder- und Jugendtheater, Schulen, Vereine oder Privatpersonen können nun die geretteten Materialien leihen oder kaufen.

Die Materialverwaltung agiert als Vermittlungsinstanz und schafft nicht nur unübersehbaren Mehrwert, sondern hat Vorzeigecharakter in Sachen Nachhaltigkeit.

Die Preisgestaltung folgt einer einfachen wie nachhaltigen Maxime

Dabei verfolgt das Konzept auch bei der Preisgestaltung den Sinn der Nachhaltigkeit und arbeitet mit drei Preisstaffelungen: je kultureller und gemeinnütziger ein Vorhaben, desto günstiger wird der Preis. Für gemeinnützige, oder Projekte mit (sozio-)kulturellem Hintergrund verzichtet die Materialverwaltung auf einen Teil des Verdienstes. Die Miete für den privaten Verbraucher siedelt sich im niedrigen bis mittleren Preissegment an und Projekte, bei denen ein hoher Gewinn zu erwarten ist, zahlen marktübliche Preise professioneller Anbieter. So zahlt zum Beispiel eine große Filmproduktion für benötigtes Material eine marktübliche Leihgebühr. Ein kleines Kindertheater hingegen, freischaffende KünstlerInnen, soziale Jugendprojekte, Bildungseinrichtungen oder Studierende ohne großes Budget werden durch deutlich günstigere Preise unterstützt.
Gerade die Preisgestaltung markiert einen großen Unterschied zu den bisherigen Möglichkeiten in NRW. Natürlich gibt es Dekorations- und Verleihfirmen. Doch die marktüblichen Preise sind für viele nicht stemmbar. Ansonsten läuft die übliche Materialbeschaffung für Projekte nach dem Motto „wer kennt jemanden, der jemanden kennt“ ab – und die Netzwerke sind teils zerklüftet.
Ein weiterer Vorteil ist die Flexibilität. Jugend- und Schultheater erfahren von Theaterhäusern in Sachen Ausstattung zwar Unterstützung, häufig ist allerdings ein langer Vorlauf von Nöten, der den Planungsaufwand unnötig vergrößert. Da agiert die Materialverwaltung agiler.

 

Ein Ort zur Inspiration und für Ideen

Dass die permanente Verortung der Materialverwaltung angesichts der hohen Dichte an Kulturinstitutionen und -produktionen im Ruhrgebiet ein großer Zugewinn wäre, liegt auf der Hand. Neben dem unmittelbaren praktischen Nutzen, entwickelt sie als Raum für Begegnung, Austausch und Ideen eine Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus. Dass sie mehr ein Ort der Inspiration sein möchte als ein funktionierendes Wirtschaftsmodell, spiegelt sich auch in der liebevollen Präsentation der Exponate wieder: Statt sie wie im Baumarkt in Regalen verstauben zu lassen, werden sie in Szene gesetzt, zu thematisch oder farblich sinnvollen Dioramen kombiniert, die den Ideenreichtum des Besuchers anregen. Diese sind KünstlerInnen, Kreative oder einfach (kultur)interessierte Menschen, die hier auch im Austausch mit Gleichgesinnten neue Netzwerke knüpfen können. Darüber hinaus ist die Materialverwaltung auch (Kreativ-)Werkstatt, in der Materialien auch gemeinsam bearbeitet werden können und Know-How weitergegeben wird.

Bereits während der dreimonatigen Testphase haben sich Bedarf und Interesse bestätigt – kontinuierlich wurden Materialien verliehen; Spenden für den Fundus gehen regelmäßig ein.  Sicherlich auch durch die Lage begünstigt: fußläufig erreichbar und mitten in der Stadt.  
Wie bereits beim großen Vorbild, der Hanseatischen Materialverwaltung in Hamburg, wirken MacherInnen der Materialverwaltung auch selbst – sei es künstlerisch oder pädagogisch: Sie bauen Lichtobjekte, sind Ansprechpartner für Dekoration und Ausstattung, veranstalten Workshops und Events. Ansätze des „Re-Use“, der Wiederverwertung und der Neubetrachtung von Material werden in Workshops praktisch vermittelt; ebenso wie museale Aspekte. Oder wer der Jugendlichen kann heute noch ein Telefon mit Wählscheibe bedienen?

Gleichzeitig eröffnet die Materialverwaltung den Blick hinter die Kulissen von Film, Fernsehen und Theater. Dabei geht es nicht um die Entzauberung, sondern vielmehr um das Wecken von Neugierde und Begeisterung. Die Materialverwaltung könnte so zur Botschafterin avancieren, kulturferne Menschen neugierig machen und sie für kulturelle Inhalte sensibilisieren.

Findungsphase von Ort und Finanzierung

Allerdings gestaltet sich die Suche nach einer geeigneten Fläche als herausfordernd. Grundsätzlich sind die MacherInnen der Materialverwaltung für alle Ruhrgebietsstädte offen und bereits seit geraumer Zeit führt das fünfköpfige Team Gespräche mit entsprechenden Stellen, sichtet Gebäude und Lagerhallen. Doch der finale Wurf steht noch aus - das Problem: Entweder sind Gebäude in derart desolatem Zustand, dass allein die Sanierungskosten horrend wären oder Gebäude besseren Zustands sind aufgrund der hohen Mietkosten nicht finanzierbar. Hinzu kommt die Problematik des nötigen Eigenanteils durch die Kommunen. Denn selbst wenn die Anschubfinanzierung durch Fördergelder gestemmt werden würde, müsste die jeweilige Kommune ca. 20% der Fördersumme aus dem eigenen Haushalt bezahlen. Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass ein Großteil der Ruhrgebietsstädte überschuldet ist, unter Haushaltssperre stehen oder Haushaltssanierungskonzepten folgen, ein großes Hindernis.

Insofern ist die Planung für das kommende Jahr ungewiss. Im Zweifel müssen die bereits gespendeten Materialien in Hamburg eingelagert werden. Es wäre schade, wenn sich die Materialverwaltung im Ruhrgebiet nicht verorten ließe, denn sie könnte ein nachhaltiges Leuchtturmprojekt werden. Durch den Aufbau von Materialverwaltungen in Hamburg, dem Ruhrgebiet und weiteren Dependancen, könnte ein flächendeckendes Netzwerk entstehen, das Wiederverwertung und Nachhaltigkeit in der Kulturszene in großem Maßstab voranbringt.

 

Wer die Materialverwaltung kennenlernen oder unterstützen möchte, kann noch bis zum 16. November 2019 zu den Öffnungszeiten vorbeikommen.

Öffnungszeiten

donnerstags und freitags von 15.00 - 20.00 Uhr
 

16. November 2019 ab 20.00 Uhr

Abschlussveranstaltung
 

Kontakt
Supermarkt der Ideen
Goebenstraße 83
46045 Oberhausen


Fundustelefon: 0177 2706496
E-Mail-Kontakt: info@materialverwaltung-ontour.de

 

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