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Von der Flucht zu den Künsten

Die Samadhyana Company entwickelte aus der Begegnung mit Geflüchteten der Stadt Essen in Tanz- und Bewegungsworkshops das Projekt „Von der Flucht zu den Künsten“. Teil dessen ist die Performance „Be There Or Be Square“, die im Rahmen des „Art Walk“ im Kreativquartier City Nord.Essen aufgeführt wurde.

Samadhyana Company © Serkan Akin/ecce

Die Stühle reichen nicht. Das ist ein gutes Zeichen für eine öffentliche Performance wie diese. Die Stufen im Forum für Kunst und Architektur am Essener Kopstadtplatz sind schon mit aufgeregten Kindern der unterschiedlichsten Nationalitäten besetzt, die restlichen Stühle füllen sich so schnell, dass Nachschub herangeschafft werden muss. Es ist der frühe Herbstabend des 3. November 2018, das Kreativquartier City Nord.Essen und das Kulturbüro Essen haben zum jährlichen „Art Walk“, dem Festival für Kunst und Kreativität, eingeladen. Interessierte Menschen bummeln durchs Viertel, treffen überall auf offene Türen und erleben Ausstellungen, Workshops, Lesungen und Performances, kurz – sie entdecken das lebendige Kreativquartier im Norden der Essener Innenstadt.

Auch die Performance „Be There Or Be Square“ der Samadhyana Company gehört zum Programm des „Art Walk“ und ist Teil ihres Projektes „Von der Flucht zu den Künsten“, das im Rahmen des Landesprogramms Kreativ.Quartiere Ruhr vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft gefördert wird. Ein quadratischer Teil des Kulturforums wird zu Bühne, zu der drei Stufen hinabführen, so dass das Publikum leicht erhöht sitzt. Unten wurde vorübergehend ein schwarzer Tanzboden verlegt, an der Seite stehen Keyboard und Technik wie Beamer und Laptop. Die Samadhyana Company ist ein interdisziplinäres und interkulturelles Team – bestehend aus den TänzerInnen Magdalena Oettl, Danilo Cardoso und Ching-Mei Hang, sowie dem Musiker Marco Girardin und der Mediengestalterin Roberta de Lacerda Medina.

„Dieses Projekt ist für ein Publikum, das mit abstraktem, zeitgenössischem Tanz nicht soviel anfangen kann“, sagt Magdalena Oettl. „Für Menschen, die sonst nicht tanzversiert sind und wenig Zugang zur Kultur haben. Wir haben den Tanz, die Musik und die Visuals, die für sich stehen können. Das sind gerade in diesem Rahmen tolle Kombinationsmöglichkeiten, um Menschen direkt anzusprechen, emotional zu erreichen und zu kommunizieren.“

Zu Beginn der Performance gehen die drei TänzerInnen durch die Zuschauermenge und schütteln Hände zur Begrüßung. Es folgen Szenen, die das Interagieren zwischen Menschen zeigen. Das Suchen und das Finden, Nähe und Abstoßung. Mal bilden alle eine in sich verschlungene, aber stets bewegliche Menschentraube. Es folgen spielerische Szenen, etwa wenn ein imaginärer Ball hin- und hergeworfen und so das Publikum mit in die Performance eingebunden wird. Die ausgelassene Szene mit dem ebenfalls unsichtbaren Mobiltelefon, das zwar ständig zwischen den TänzerInnen weitergereicht wird, aber dafür sorgt, dass deren Hände an den Körpern der Anderen klebenbleiben, bringt das Publikum zum lachen. Später interagieren die TänzerInnen der Samadhyana Company mit elektronisch generierten Visuals, die an die Wände gebeamt werden oder direkt mit ihrem Alter Ego, das durch eine virtuelle Tür in einem Film an der Wand erscheint. Am Ende der Performance – große Begeisterung, langer Applaus und glückliche Gesichter. Bei den TänzerInnen, den Kindern mit ihren Familien und bei jenen BesucherInnen, die es durch den „Art Walk“ eher zufällig hineingeweht hatte.

Zudem hat die Samadhyana Company schon einige Stunden vorher diverse Straßenperformances gemacht, mitten im Gewühl der Innenstadt. Auch da waren die überraschten Passanten schnell gefesselt: „Man braucht sich nur plötzlich komisch bewegen oder rückwärts laufen, und schon gucken die Leute. Die Aufmerksamkeit ist direkt da.“

Große Aufmerksamkeit war der Samadhyana Company auch 2015 sicher, als sie als Studierende der Folkwang-Universität die vollen Flüchtlingsheime in Essen besuchten. „Wir sind einfach hingegangen und haben gefragt, wie wir helfen können; ob sie alles haben, was sie brauchen. Und wie es den Kindern geht“ erzählt Danilo Cardoso. „Wir haben festgestellt, dass das von Seiten der Stadt gut organisiert war, vermissten aber künstlerische Angebote.“ Deswegen sind sie von Tür zu Tür gezogen und haben die Heim-BewohnerInnen zu ersten Workshops eingeladen. So entstanden Kontakte, die bis heute Bestand haben. Aus den Workshops und der Arbeit mit den Kindern entwickelte sich das Projekt „Von der Flucht zu den Künsten“, das diese Impulse in künstlerisches Material verwandelte. Ziel war es, eine Atmosphäre des Austauschs und Raum für Dialoge zu schaffen. Mit den BewohnerInnen, den Kindern, ihren Eltern und Großeltern – was sind deren Bedürfnisse, welche künstlerischen Erfahrungen haben sie, wer spielt ein Instrument oder tanzt? Ebenso mit den MitarbeiterInnen der Wohnheime und den soziokulturellen Akteuren der Stadt – was kann man gemeinsam realisieren, welche Angebote gibt es bereits, wie können weitere Verknüpfungen gelingen? Worin unterscheiden sich die unterschiedlichen integrativen Ansätze, wie kann man sie mit der Kunst zusammenbringen und wo liegen die Schwierigkeiten der Umsetzung?

Im August 2018 gab es einen ersten Einblick in den Prozess im Essener Unperfekthaus zu sehen, bei der „noch viel direkter die Eindrücke von den Workshops verarbeitet wurden, als in der Abschlussproduktion“ wie Magdalena Oettl betont. „Wir haben mit dem Publikum zusammen geklatscht und gesungen, das war ein ganz anderer Mix als hier. Das waren die ersten Schritte. Die Performance ‚Be There Or Be Square‛ ist für diesen Ort und den heutigen Tag des ‚Art-Walk‛ entstanden. Nun sind die Workshops unsere Inspirationsquelle; die Ansätze, die für uns wichtig sind, sind die Kommunikation durch Tanz, Bilder und Musik, die Ausdrucksstärke des intuitiven Bewegungsimpulses und der Umgang mit Dynamik und Richtungen. Diese Dinge bringen wir im interkulturellen Dialog und in den Workshops mit ein. Die Resonanz daraus nehmen wir mit und entwickeln sie als professionelle Künstler auf unsere Weise weiter.“

Für „Be There Or Be Square“ wird es in dieser Form keine weiteren Spieltermine geben. „Wir brauchen einen neuen Rahmen, um das verfeinern zu können, die Impulse weiter zu verwerten und etwas Neues entstehen zu lassen“ sagt Oettl. „Es lohnt sich immer, nachhaltig zu sein, und das bisherige Material und die Verbindung in der KünstlerInnengruppe in Interaktion mit einem interkulturellen Publikum zu nutzen und auszubauen.“ Für 2019 plant die Samahyana Company eine Multimedia-Produktion mit dem Titel „Plugged In“, die sich mit den Folgen des digitalen Wandels auseinandersetzt. Und für das Kreativquartier City Nord.Essen möchte das Team seinen soziokulturellen Ansatz mit einem Kunstfestival „Komm raus“ weiterentwickeln. Mit Workshops, Performances, Impros, Konzerte und Jam-Sessions, sollen Kreative und die Nachbarschaft vor Ort mit dem Publikum zusammenwachsen. „Das ist ein ziemlich weitblickender Wunsch. Aber es passiert durch kleine und große Initiativen von Menschen, die Lust haben, auf kreative Weise zu kommunizieren – ob KünstlerIn oder nicht“ lacht Magdalena Oettl begeistert. „Nach ‚Von der Flucht zu den Künsten‛ kommt eben ‚Komm raus‛!“

 

Text: Volker K. Belghaus