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''Über die Dörfer'' von Petra Wittmar & Ulrich Deimel

Fest verwurzelt im Ruhrgebiet, hat sich das Künstlerduo auf eine fotografische Reise in die Vergangenheit begeben und nach dem Idyll der Erinnerung gesucht.

© Petra Wittmar & Ulrich Deimel

Das Fotografenpaar Petra Wittmar und Ulrich Deimel ist seit vielen Jahren fest verwurzelt im Ruhrgebiet – diesem Ort des pulsierenden Lebens, aber auch der Hässlichkeit und der Entfremdung. Jedenfalls im Kontrast gesehen zur ländlichen Idylle, die sie in ihrer Heimat im Sauerland erlebt haben.

Im Rahmen ihres Projektes Über die Dörfer  sind sie dorthin zurückgekehrt, um mit dem Blick der Kamera alte Erinnerungen aufleben zu lassen und das vermeintliche Glück in all seiner Zwiespältigkeit sichtbar zu machen. Wobei sie im Verlauf ihrer Arbeit auch spontan umdenken mussten …

Architekturfotografie & der Anspruch, die Welt aufzuschließen

Kennengelernt haben sich Wittmar und Deimel bereits in jungen Jahren auf einem dörflichen Pop-Konzert – sie ist 16 und absolviert eine Fotografie-Lehre in Soest, er ist 19 und studiert Germanistik, Philosophie und Kunsterziehung in Essen. Aus der beginnenden Partnerschaft erwachsen schließlich auch gegenseitige Ermutigung, Inspiration und Unterstützung bis hin zum Wunsch, künftig eine gemeinsame berufliche Laufbahn einzuschlagen. Und weil auch Ulrich Deimel einen Hang zur Fotografie hegt und beide sich für Architektur interessieren, landen sie nach Petra Wittmars Studium an der Folkwang Universität der Künste (damals noch Folkwangschule) schon bald im hochspezialisierten Bereich der Architekturfotografie, die seit 1986 das Hauptbetätigungsfeld der beiden darstellt.

Wie so häufig nimmt der notwendige Broterwerb viel Raum ein, während die eigenen künstlerischen Interessen hintenanstehen – aber immer wieder nehmen sie sich die Zeit auch für eigene Projekte: setzen sich dokumentarisch mit dem Wandel auf dem Land und in den Städten auseinander, organisieren Ausstellungen und lernen mit ihrem Projekt über die Architektur der 20er-Jahre in NRW, wie man einen professionellen Bildband auf die Beine stellt. Angetreten waren sie dabei einst mit der ambitionierten Mission, die Welt zu verändern. Diese nimmt schließlich gemäßigtere Formen an mit dem Anspruch, die Welt aufzuschließen. Aufklärung und Erkenntnis statt Wohlgefallen.

''Endlich einer Sache wirklich nachgehen, ohne ständig nach Luft zu schnappen''

Das Projekt Über die Dörfer ist nun eine dankbare Gelegenheit, hierfür endlich mal einer Sache wirklich nachzugehen, ''ohne dabei ständig nach Luft zu schnappen''. Dank der finanziellen Unterstützung durch die IKF darf ausnahmsweise das Tagesgeschäft für einen längeren Zeitraum hintenangestellt werden und sie können sich ganz auf das Projekt fokussieren. Eine befreundete Malerin hatte sie auf die Möglichkeiten über ecce aufmerksam gemacht und sie hatten anfangs wie von anderen Förderprogrammen gewöhnt ohne eigene Honorare kalkuliert. Dann die große Überraschung und auch Erleichterung, dass diese so übliche Form der Selbstausbeutung hier gar nicht vorausgesetzt wird, sondern Freiraum wirklich Freiraum bedeutet.

Und so widmen sie sich nun thematisch ihrer ländlichen Heimat im Sauerland, wie sie in der Erinnerung verblieben ist: als vermeintlich idyllischer Kontrast zum Ruhrgebiet, das zwar ein Zuhause geworden ist, dem aber noch immer das Empfinden von Entfremdung und Hässlichkeit anhaftet. Denn auch das vertraute Land bietet nicht bloß Glücksgefühle – vielmehr treffen hier sehnsuchtsvolle Anziehung und deprimierende Abstoßung aufeinander und bergen dadurch ebenso herausfordernde wie spannende Ambivalenzen für die fotografische Umsetzung. Das Projekt wird dabei zum Abschluss eines siebenteiligen Zyklus, der mit ''Medebach'' von Wittmar bereits zu Studienzeiten seinen Anfang nahm.

Auf der Suche nach dem, woran sich einst das kindliche Glück entzündete

Es geht also weniger um Nostalgie als vielmehr um eine Bestandsaufnahme vom Status quo –tatsächlich gespickt mit so mancher Enttäuschung. Denn das Besondere, das in der Erinnerung so fest verankert war, ist auch auf dem Land an vielen Stellen verlorengegangen. Die wohlbekannten Dörfer wirken nun oftmals steril und seltsam abstrakt. Es ist kaum etwas übrig von der einst so liebenswerten Eigentümlichkeit. Die Obstbäume, die in der Erinnerung das Gefühl des Heimatlichen so sehr geprägt haben, sind selten geworden. Die Natur musste fallen und alles, was widerborstig war, ist gezähmt oder entfernt worden – dabei hatte sich doch gerade daran das kindliche Glück entzündet. Und so kommt es, dass Deimel ausgerechnet in seinem Heimatdorf kein einziges Foto macht.

Also erweitern sie spontan den Radius ihrer Betrachtung, um dann hinter der nahen hessischen Landesgrenze etwas von dem zu finden, was sie ursprünglich beschreiben wollten. Hier sind die Dörfer ärmer und weniger adrett, dafür umso charakteristischer. Zum Glück – denn wo die früheren Projekte des Zyklus eher kritisch orientiert waren, steht nun der Versuch einer positiven Darstellung: Den Gefühlszustand von damals im Heutigen einfangen, um ihn sichtbar zu machen und dem anderen Pol gegenüberzustellen. Auch die ersehnten Obstbäume tauchen hier auf.

Neue Erfahrungen & Impulse, um daran anzuschließen

''Über die Dörfer'' ist nicht nur vielversprechender Anschluss an vorangegangene Projekte, sondern bietet auch willkommenen Raum für das Austesten neuer Vorgehensweisen des Fotografenpaars: So sind Wittmar und Deimel bisher meist zu zweit mit ihrer schweren Großbildkamera losgezogen. Nun fahren sie zunächst mit dem Auto los, um dort alles für Wittmars Aufnahmen mit der großen Kamera vorzubereiten, anschließend zieht Deimel allein mit dem Fahrrad und seiner Digitalkamera weiter.

Dass sie auf diese Weise erstmalig unterschiedlich vorgehen – sie analog und bedachtsam, er digital und daher schneller und agiler –, öffnet alternative Blickwinkel und sie lernen neu voneinander.

Insgesamt hat das Projekt Möglichkeiten und Impulse gebracht, die weiterverfolgt werden wollen. Die Zeit dafür wird sich schon finden.

 

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Text: Marius Hanke