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Simon Mellnich – kinetische Kunst im Spannungsfeld zwischen Zufall und Struktur

© Sebastian Becker/ecce

„In all meinen Arbeiten gehe ich nach dem gleichen Prinzip vor. Im Lexikon steht Chaos ganz nah an Chance. Diese beiden Wörter bedingen sich gegenseitig“, beschrieb der Komponist und Künstler John Cage sein Schaffen. 25 Jahre nach seinem Tod beschritten Simon Mellnich und David Janzen einen ähnlichen Weg mit anderer Note. Bei seinem Projekt „Kinetic Hacking“ möchte er die überschüssige Energie von Rolltreppen im öffentlichen Raum für eine Mechanik nutzen, die bei Benutzung der Rolltreppe Töne innerhalb eines bestimmten Spektrums erzeugt.

Die Idee für die Nutzung von kinetischer Energie im öffentlichen Raum kam Simon Mellnich und seinem Partner David Janzen 2012, als die FH Dortmund gebeten worden ist, eine Ausstellung zum 100. Geburtstag von John Cage zu entwerfen. Die beiden damaligen Objektdesignstudenten nutzten damals drei von fünf Glasfahrstühlen im Hauptbahnhof von Darmstadt. Sie montierten Instrumente wie eine Violine oder ein Akkordeon zwischen Fahrstuhlwand und Schacht, welche durch die Bewegung des Fahrstuhls gespielt wurden. Das Ergebnis ist keine Melodie im klassischen Sinne, sondern eine Tonabfolge aus sechs „Samples“, die durch die Kombination von Zeit und Fahrtrichtung der Benutzung eine zufällige Abfolge erzeugt -eine organisierte akustische Situation.

Seitdem schwebte Simon diese Idee im Kopf herum, doch durch andere Projekte und den Arbeitsalltag war eine weitere Umsetzung bislang nicht möglich. Die thematische IKF-Förderung ermöglicht nun aber, dass Simon und David den Gedanken wieder neu aufleben lassen können. „Die Förderung gibt uns den Freiraum, sich zum Experimentieren zu nehmen“, berichtet Simon. Für ihr neues Projekt „Kinetic Hacking“ greifen die Designer den Grundgedanken aus Darmstadt auf und erweitern ihn. Wieder machen sie sich überschüssige Energie zu nutzen, doch dieses Mal sind es keine Fahrstühle, die das Werk auslösen, sondern eine Rolltreppe. „Es handelt sich um eine kinetische Kunstinstallation im öffentlichen Raum, die die Bewegungsenergie einer Rolltreppe abgreift, während Passanten sie benutzen“, fasst der Künstler und Designer zusammen. Die Passanten treiben somit unbewusst eine Mechanik an, die die Saite eines Klaviers zupft und daraufhin hängende Klangkörpern in Bewegung versetzt. Das Ergebnis ist hier ebenfalls eine vermeintlich zufällige Melodie, sozusagen der Klang der sonst verlorenen Energie. Die nachhaltige Nutzung beschränkt sich jedoch nicht auf die genutzte Energie, so lebten die verbauten Materialien bereits ein Leben zuvor. „Das Ganze wird aus gefundenen Materialien vom Schrottplatz gebaut, aus Mechaniken von ausgedienten Industriemaschinen“, fährt er fort. Bruchstücke der industriellen Vergangenheit des Ruhrgebiets werden zu Kunst im öffentlichen Raum.

 

„Dieser Nachhaltigkeitsgedanke ist essentiell. Die Materialwahl und die Energiekomponente beinhalten die Sensibilisierung der Leute gegenüber ihrer Nutzung von Ressourcen. Das soll allerdings nicht belehrend wirken, sondern spielerisch“, bringt Simon den Hintergrund der Installation auf den Punkt „Da ich Künstler bin und das Projekt meine Art ist, diesen Gedanken umzusetzen, ist das mein Vokabular. Aber die Idee, dass diese Energie da ist und genutzt werden kann, ist natürlich frei verfügbar. Wenn jemand eine clevere Idee hat, das sinnvoll zu tun, ist es natürlich schön, wenn die Idee weiterentwickelt wird. Aber auf die künstlerische Nutzung der Bewegung haben wir jetzt ein Patent“, scherzt der er weiter.

Der Ort spielt dabei eine immense Rolle. Ein Museum wäre laut ihm zu elitär und der öffentliche Raum im Gegensatz dazu denkbar niedrigschwellig. Ohne es zu wollen, werden die unterschiedlichsten Mensch Teil einer Installation. Im besten Fall nehmen sie den Gedanken weiter mit in ihren Tag, im vermeintlich schlechtesten schenkt es ihnen immerhin ein Lächeln. „Das hat man in Darmstadt gemerkt. Da sind eine mit ihren Kindern streitende Mutter und eine Oma mit Trolli zusammen mit hängenden Mundwinkel in den Aufzug gestiegen und kamen lachend wieder heraus – und das an einem Ort der nur negative Assoziationen hat“, erzählt der Designer. Für ihn stellt auch der U-Bahnhof als solches einen sehr geeigneten Ort dar. Die Überlegungen die sie im Voraus anstellten, führte sie dort hin, wie Simon berichtet: „Es gibt nicht viele Rolltreppen. Es gibt Rolltreppen in U-Bahnhöfen, Hauptbahnhöfen und Kaufhäusern. Einem Konsumtempel so eine Installation zu schenken und diesen entweder zum Kulturort zu erheben oder die Kunstinstallation zu einem trivialen Marketinggag zu machen, ist für uns keine Option. Das ist zwar durchaus denkbar oder sogar eine langfristige Option, müsste dann aber unter anderen Voraussetzungen geschehen.“ Doch nicht nur Pragmatismus führte dazu, auch die Begebenheiten des Raums. „U-Bahnhöfe sind Transitorte, an denen Leute warten und auf ihre Handys schauen. An denen sie viel Zeit und Energie verschwenden. Viele Leute passieren den Ort, ohne ihn wahrzunehmen oder positive Qualitäten damit zu verbinden. Eine Installation dahinzubringen, die auf vielen verschiedenen Ebenen zum eigenen Nachdenken oder Nachvollziehen anregt und dabei sich unterhalten zu lassen, ist wirklich schön“, fährt er fort.

Die damit einhergehende Botschaft oder daraus resultierende Interpretation ist dabei im Unterschied zu vielen anderen Kunstwerken sehr handfest, auch abgesehen von der Haptik. Die Installation wirft die Frage auf und gibt auch im gleichen Moment eine mögliche Antwort. Der leichte Zugang ist der Schlüssel, um alle Menschen gleichermaßen erreichen zu können. Die Nachvollziehbarkeit der Mechanik ist nicht nur eine bewusste Entscheidung, sondern unabdinglich für die provozierte Aussage. Kinder können sie ebenso begreifen wie Erwachsene und werden - ohne es zu bemerken - ein Teil davon. „Der ursprüngliche Antrieb war es, unsere eigene kindliche Freude an sichtbarer und nachvollziehbarer Mechanik abzubilden. In Zeiten, in denen alles kleine magische Boxen sind, die zwar machen, was sie sollen, aber man nicht mehr versteht, was darin passiert, ist es interessant Vorgänge wieder ersichtlich zu machen. Außerdem eröffnet eine nachvollziehbare Mechanik auch einen großen Spielraum im künstlerischen Ausdruck.“

 

Text: Jan Kempinski