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Luísa Saraiva – Zeit für barocken Gesang und andere Dinge

© Sebastian Becker/ecce

Als TänzerIn und ChoreographIn ist es – einmal im Arbeitsalltag angekommen – schwierig, sich Zeit für persönliche Recherchen oder Weiterbildungen zu nehmen. Oft werden Produktionen mindestens ein Jahr im Voraus geplant und geben somit zwar Sicherheit, nehmen aber auch zwangsläufig die Flexibilität. Luísa Saraiva nutzte die IKF-Förderung, um sich den zwölfmonatigen Freiraum zu schaffen, Fortbildungen zu besuchen, eine Produktion zu planen und sich auf die Dinge zu konzentrieren, für die sonst die Zeit zwischen den Stücken fehlt.

Luísa Saraiva wohnt in Essen-Werden. Einem kleinen Stadtteil außerhalb der City mit Altstadtflair. Aufgrund der Nähe zur Folkwang Universität wohnen hier viele StudentInnen - und „alte Damen“, scherzt Luísa: „Ich habe hier mal in einem Haus mit einem Opernsänger und vier alten Frauen gewohnt. Die haben mir immer Obst gegeben, weil ich das arme Mädchen war, das alleine wohnt.“ Nun wohnt sie in einem Hinterhaus mit defekter Klingel, schönem Holzböden und großen Fenstern. Im gemeinsamen Wohnzimmer stehen viele Platten und Bücher. Luisa hat Psychologie und Tanz studiert. Theorie war ihr dabei immer wichtig, wurde aber laut ihr während ihres Tanzstudiums an der Folkwang Universität der Künste nicht genug gefördert: „Die Ausbildung an der Folkwang ist technisch sehr gut, aber künstlerisch schwierig.“ Dieses Defizit konnte sie durch die finanzielle Unterstützung der IKF nun begleichen und sich dadurch weiter professionalisieren. „Mein Ziel war es, wieder Zeit zu haben, um zu lesen und Sachen vorzubereiten, aber auch an Orten zu sein, an denen ich über darstellende Kunst recherchieren kann. Ich war zwei Wochen im Performing Arts Forum, einem Kloster in Frankreich, welches Philosophiekurse für darstellende Künste anbietet. Ich habe an zwei verschiedenen Symposien für TänzerInnen in Portugal teilgenommen. Das war sehr wichtig.“ Für die Tänzerin ist der theoretische Teil ihrer Ausbildung von enormer Bedeutung. Nicht zuletzt ermöglicht er ihr, ihre beiden Studien miteinander zu verbinden, sei aber auch darüber hinaus unabdingbar. „Für alle Tanzstücke muss man theoretisch arbeiten. Die Zeit für schöne Bewegungen ist vorbei“, erzählt sie grinsend.

Das zeigt sich auch in ihrer neuen Produktion. Fast zeitgleich mit der IKF-Förderung wurde sie eingeladen ein Stück in Koproduktion zwischen Porto und Düsseldorf zu inszenieren. „2016 habe ich ein zehnminütiges Stück gemacht und mich damit bei einem Wettbewerbs des Théâtre de la Ville in Paris beworben. Dieser Wettbewerb hatte eine große Jury und ein Mitglied der Jury ist der Theaterleiter aus Porto, welcher mir direkt die Koproduktion eines Stückes für das internationale Tanzfestival Dias da Dança gegeben hat“, erzählt Luísa sichtlich glücklich. Sieben TänzerInnen, ein Komponist und sie selbst als Choreographin arbeiten an „Hochwasser“. Eine Produktion in einer Größenordnung, die für die Tänzerin neu ist und neue Herausforderungen birgt: „Im neuen Stück tanze ich nicht selbst. Wenn ich auch tanzen würde, müsste ich auf mich selbst achten und kann nicht über das gesamte Stück nachdenken. Es sind sieben TänzerInnen, das macht es sehr schwierig. Ich habe das Gefühl, dass wenn ich drin wäre, mir die Übersicht fehlte.“ Ein abendfüllendes Stück in der Größenordnung bedarf aber auch viel Vorbereitung. So hat die 30-Jährige im Voraus viel recherchiert, gelesen, konzipiert und ihre beiden akademischen Hintergründe miteinander verzahnt. „Das Stück hat mit einem Konzept der Familientherapie angefangen: paradoxical prescription. „Ein bildliches Beispiel dafür wäre ein Schild, auf dem „Ignorier dieses Schild.“ steht“, erläutert Luísa ihre Idee: „Etwas Ähnliches habe ich auch mit meinen TänzerInnen gemacht. Ich habe ihnen eine Aufgabe gegeben, die sie nie erfüllen können. Durch den Prozess entstand aber eine Bewegung, die später zum Stück wird. Sie wählen die Bewegung aus und ich gebe nur die Aufgabe.“ Das Fundament dieser Aufgabe kommt aus der Psychologie, doch hat die Choreographin auch in den Werken der bildenden Kunst recherchiert. Eine wichtige Referenz hat sie beispielsweise in „Das Leiden der anderen betrachten“ von Susan Sontag gefunden. Das Buch inspirierte die Choreographin tiefer in diese Materie einzutauchen und letztendlich Fallen und Helfen als Thema ihres Stücks zu wählen. Ein Konzept, welches für das Publikum ohne Vorwissen nicht leicht zu verstehen ist. Das Stück selbst ist unvorhersehbar gestaltet und so konzipiert, dass sich bei jeder Aufführung etwas verändert. Dafür gibt Luísa eine Struktur vor, „die aber genug Freiheit gibt, dass die TänzerInnen ständig Entscheidungen treffen können. Dadurch ist jeder Abend anders und ich glaube, so etwas erzeugt schon einen Eindruck beim Publikum.“

Die Probephasen für das Stück finden in Düsseldorf und Portugal statt. Hier konnte Luísa die IKF-Förderung ebenfalls nutzen. „Ich hatte bereits drei Probenphasen für das Stück und durch die IKF konnte ich zum Beispiel die Reisen für die TänzerInnen bezahlen. Das nimmt den Druck raus. Letztes Jahr bin ich von einer Produktion zur nächsten gesprungen und musste unter anderem die Anträge nach der Arbeit machen.“ Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Räumlichkeiten in Portugal. In NRW gibt es keinen Proberaum für die freie Szene – schon gar keine kostenlosen – hier sind Räume dann frei, wenn sie beispielsweise vom Theater nicht gebraucht werden. In Porto hingegen ist die Situation komfortabler. „Porto ist vergleichbar mit Frankreich. Es gibt Studios, denen du schreiben kannst und die dir daraufhin einen Raum für eine gewisse Zeit blocken. Ohne Miete. Das ist ein Problem im Ruhrgebiet, hier gibt es keine solchen Räumlichkeiten.“ Anfang des Jahres gehen die Proben los. Am 04. April 2018 wird „Hochwasser“ im Tanzhaus NRW uraufgeführt und feiert danach am 28. April Premiere beim Eröffnungswochenende des Dias da Dança in Porto. Luísa freut sich schon wieder in Portugal zu sein, hier ist sie geboren und aufgewachsen. Sie erzählt: „Es ist etwas ganz Besonderes für mich, drei Monate in Portugal zu sein, mein erstes Stück dort zu machen, nachdem ich acht Jahre nicht mehr dort war.“

Die Förderung hat Luísa in den zwölf Monaten viel ermöglicht, sie konnte sich fortbilden, KünstlerInnen bezahlen, ein Stück produzieren. Ihr Resümee fällt daher sehr positiv aus: „Ich habe dieses Jahr so viele Sachen gemacht, für die ich sonst nie Zeit und Geld gehabt hätte. Ich habe zum Beispiel eine Woche damit verbracht mit einer Freundin barocke Lieder zu üben. Ich habe schon Ideen, wie ich das nutzen könnte, aber ich muss es eben nicht. Ich habe das jetzt erforscht und wenn ich nun ein Konzept schreibe, habe ich schon eine Grundlage dafür.“ Aber neben Freiheit und Weiterbildungen konnte die Tänzerin noch mehr aus der Förderung mitnehmen. „Die IKF hat mir Sicherheit für dieses Jahr gegeben und da ich nun Zeit hatte das nächste Jahr zu organisieren, habe ich Mitte dieses Jahres schon einen Teil des nächsten planen können.“

 

Text: Jan Kempinski