Text: Sven Westernströer
Veröffentlicht am 14. September 2022 in der WAZ | Nr. 214 | WBON1
In früheren Kiosk zieht Kultur ein
Neulich lag eine Karte im Briefkasten. Darauf standen nicht viele Worte, nur dies: „Danke für Euer Schaubüdchen!“ Judith Schäfer war ganz gerührt: „Der Zuspruch, den wir hier aus der Nachbarschaft erfahren, ist wunderschön“, sagt sie. Scheint so, als sei das kleine Schaubüdchen in Griesenbruch auf einem guten Weg, zu einer echten Bochumer Kulturinstitution zu werden.
Rund eineinhalb Jahre ist es her, seit aus der ehemaligen Trinkhalle an der Ursulastraße 24 ein Ort für Kunst, Performances, Musik und Literatur geworden ist. 1957 gebaut, befand sich in dem unscheinbaren Eckgebäude mit den riesigen Schaufenstern zuvor über Jahrzehnte ein klassisches „Büdchen“, wie man sie überall im Ruhrgebiet fand. Hier bekam man nicht nur Bömskes, Kaffee und belegte Brötchen. Das Büdchen war auch die zentrale Anlaufstelle für das halbe Viertel, um beim Feierabendbier den neuesten Tratsch auszutauschen.
Nachdem die Trinkhalle geschlossen wurde und damit das Schicksal vieler kleiner Kioske im Ruhrgebiet teilte, die sich der Discounter-Konkurrenz geschlagen geben mussten, stand das Büdchen über ein Jahr lang leer – bis sich Judith Schäfer und Philipp Blömeke ein Herz fassten, um daraus das Schaubüdchen zu entwickeln. Beide hatten sich mit ihrer künstlerischen Arbeitsgemeinschaft „Dunkelkammer“ schon früher für die kulturelle Nutzung ungewöhnlicher Orte eingesetzt. Dank Förderungen von der Stadt und vom Land (im Rahmen des Programms „Kreativ.Quartiere Ruhr“) nahm die Idee langsam Fahrt auf.
Lesung wurde via Funkkopfhörer nach draußen übertragen
Seither hat sich eine Menge getan. Ausstellungen, Rauminstallationen, mehrere Lesungen und gut besuchte Abende etwa im Rahmen der BO-Biennale und der „Tag der Trinkhallen“ fanden bereits im und um das Schaubüdchen herum statt. „Größere Veranstaltungen verlegen wir vor allem wegen Corona gern in den Außenbereich, wo etwa 30 Menschen auf Klappstühlen Platz finden“, erzählt Philipp Blömeke.
Um die Nachbarschaft nicht unnötig zu nerven, wurde die letzte Krimilesung über Funkkopfhörer, die jeder Besucher ausleihen konnte, nach draußen übertragen, während die Autoren drinnen im Büdchen aus ihren Werken lasen. Auch eine Theaterperformance unter dem Titel „Alleinsam“ stieß auf diese Weise auf einiges Interesse: Im Kostüm eines einsamen Wolfes erzählte Schauspielerin Lena Entezami von Momenten des Alleinseins.
Die Texte entstanden nach Interviews mit Menschen aus der Umgebung, die darin von ihrer Einsamkeit berichteten. Gedichte der Bochumer Autorin Verena Liebers können von außen an einer Hörstation angehört werden. Wer einen Kopfhörer selber mitbringt, kann sie auch außerhalb der Öffnungszeiten jederzeit selber abspielen.