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Iphigenia im Pott – "Fick dich ich bin schön!"

Die Iphigenie der heutigen Zeit trommelt sich in einem leerstehenden Ladenlokal in einem Oberhausener Hochhaus ihre Wut von der Seele – im Interview sprachen wir mit der zum zweiten Mal IKF-Geförderten Schauspielerin Sina Ebell und der Regisseurin Ariane Kareev über den Monolog ''Iphigenia'', Sina Ebells künstlerisches Selbstverständnis und die Zukunft.

© Ole-Kristian Heyer

Die Kulisse ist real

Erste Szene vor dem Interview: Sina Ebell und Ariane Kareev stehen vor dem Hochhaus in der Friedrich-Karl-Straße. In den Leerständen im Erdgeschoss befindet sich das Nachbarschaftszentrum ''Unterhaus''. Mit der freundlichen Unterstützung von Kultur im Turm e.V. (Kitev) kann neben dem Unterhaus ein weiterer Leerstand für das Stück Iphigenia genutzt werden. Ebell und Kareev rauchen und warten. Ein Nachbar gesellt sich dazu – es folgt eine Unterhaltung über Stromausfälle im Haus. Sina Ebell wohnt seit ihrem 2018 IKF-geförderten Projekt ''Ein Bild der Wirklichkeit'' in dem, als sozialer Brennpunkt bekannten, Hochhaus in der Nähe des Hauptbahnhofs. Um über das Haus einen Dokumentarfilm machen zu können, war es für sie unabdingbar vor Ort zu leben und Beziehungen aufzubauen. Mittlerweile kennt sie die Nachbarn gut. Ein Großteil der Menschen lebt in prekären Zuständen. Gebrochene Existenzen und Armut zeigen sich hier jeden Tag. Auch die Figur Iphy aus ihrem aktuellen Stück könnte eine Bewohnerin des Hauses sein.

 

Griechische Mythologie 2.0

Das Theaterstück Iphigenia ist die deutsche Version von Gary Owens ''Iphigenia in Splott''. Owen hat dem griechischen Mythos über Iphigenie, die Tochter des Heerführers Agamemnon, die für das Gemeinwohl geopfert wird, ein zeitgemäßes Gewand geschneidert. Die Hauptfigur Iphy ist eine junge, arbeitslose Frau, die viel Wut in sich trägt und für die meisten in die Schublade ''Asi'' gehört - sie ist laut, umgeben von Chaos, pöbelt gerne und stolpert von einem Rausch in den nächsten. Doch Stück für Stück gewährt die Erzählung einem einen Blick hinter die raue Fassade, offenbart die Hintergründe ihrer Wut und zeigt vielfältige Facetten ihrer Person. Schicksalsschläge und Einsamkeit prägen ihr Leben.

In jedem steckt ein Stück Iphy

Alle fünf Aufführungen waren ausverkauft. Das Publikum war bunt gemischt: Neben Theaterinteressierten, kamen Menschen aus der Nachbarschaft, Vorbeilaufende und Menschen, die zuvor keine Berührungspunkte mit dem Theater hatten. Nach den Vorstellungen haben die BesucherInnen sich ausgetauscht und diskutiert. Jeder konnte etwas aus seinem Leben in Iphigenia wiedererkennen oder sich seiner Privilegiertheit und seines Glücks bewusst werden. Menschen die normalerweise wortlos aneinander vorbeigehen, teilten nun eine gemeinsame Erfahrung.
Für Sina Ebell und Ariane Kareev war der Aufführungsort extrem wichtig. ''Iphigenia darf niemals in einem Theaterraum gespielt werden'' – so die ungeschriebene Regel der beiden. Der ausgewählte Raum in der Friedrich-Karl-Straße erweckt das Gefühl, man würde in Iphys spärlich eingerichtetem Wohnzimmer in ihrer Hood sitzen. Eine räumliche Trennung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum gibt es nicht, weshalb Protagonistin und Publikum sich manchmal sehr nah kommen.

 

Der Weg zur Rolle

Normalerweise kommen RegisseurInnen für die Besetzung eines Theaterstücks auf die SchauspielerInnen zu. Sina Ebell brach jedoch aus den typischen Strukturen aus und fragte Ariane Kareev bei einer der Proben für ''Maria Stuart'' im Theater Rottstraße 5, ob sie mit ihr zusammen den ''Iphigenia-Stoff'' bearbeiten möchte. Gemeinsam setzten sich die beiden an die konzeptionelle Arbeit und den Förderantrag. Um diesen Schritt zu gehen und um als Schauspielerin mehr Selbstständigkeit erlangen zu können, wurden zuvor wegweisende Erfahrungen gemacht. Ebell trieb die Frage um, inwiefern eine Schauspielkünstlerin eine eigenständige Künstlerin sein kann, denn das KünstlerInnen-Dasein bedeutet für sie die Bearbeitung eigener Themen und das selbstständige Schaffen und Umsetzen von Ideen und Inhalten. Es gibt genug Themen, die sie beschäftigen und darauf warten künstlerisch angegangen zu werden: Diskriminierung, Neoliberalismus, die unfaire Verteilung von Wirtschaftsgütern – kurz Ungerechtigkeit, aber besonders die Frage, wie wollen wir als Gesellschaft zusammenleben?

Zwei Erfahrungen veränderten Sina Ebells künstlerisches Selbstverständnis nachhaltig: Zum einen die Zusammenarbeit mit damaligen Studierenden der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe in 2011, aus der das Theater & Performance Kollektiv ''Die Happy Few'' entstand, bei dem sie mitwirkt und seitdem kontinuierlich künstlerische Produktionen mit dem Regisseur und Szenographen David Schnaegelberger erarbeitet. Hier lernte sie aus dem Theaterraum auszubrechen und eigenständige Arbeiten im Kollektiv zu kreieren. Zum anderen das IKF-Stipendium in 2018, welches für sie besonders wichtig war. Es gab ihr die Möglichkeit, sich ein Jahr lang, ganz auf sich gestellt, mit einem selbstgewählten Thema auseinanderzusetzen und daraus eine künstlerische Arbeit zu entwickeln.
Nach wie vor arbeitet Ebell weiterhin als reine Schauspielkünstlerin in Zusammenarbeit mit RegisseurInnen. An Ariane Kareev schätzt sie, mit welcher Professionalität und Leidenschaft die Regisseurin inszeniert, dass sie weiß was sie wie erzählen will und überdies Raum für die eigene Persönlichkeit der SchauspielerInnen gibt. Die beiden kennen sich seit 2012 und haben 2019 bei dem Stück ''Maria Stuart'' intensiv und gut zusammengearbeitet. Das nötige Vertrauen für die Umsetzung des herausfordernden Monologs war gegeben.

Wie sieht die Zukunft aus?

Iphigenia wird auf jeden Fall weitergehen. Die bisherigen Vorstellungen haben gezeigt, dass Interesse für das Stück besteht und ihre Geschichte aktuell und wichtig ist. Am 28. & 29. Februar 2020, je 19:30 h, wird ''Iphy'' nochmal in der Friedrich-Karl-Straße 4 in Oberhausen zu erleben sein.* Weitere Spielorte und Termine befinden sich in der Planung.


*Kartenreservierungen unter iphigenia-theater@yahoo.com

 

Text: ecce, basierend auf einem Interview mit der Künstlerin.