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Interview – Erinnerungen an Blumenthal

Mithilfe historischer Aufnahmen wird eine Unterführung zum Ort der kollektiven Erinnerung an den Bergbau in Recklinghausen. Ein Interview mit den InitiatorInnen.

© Moritz Gastreich

Wer heute die als Kunstmeile betitelte Radstrecke von Recklinghausen Hochlarmark bis in die Innenstadt nutzt, erkennt kaum noch, dass hier einst die Schachtanlage Recklinghausen Blumenthal 1, 2 und 6 gelegen war. Um an den historischen Ort zu erinnern, soll die Unterführung auf der ehemaligen Zechentrasse mit historischen Motiven des Ortes gestaltet werden. Der Entwurf wurde bereits von Bergleuten der Zeche General Blumenthal vorgestellt. Nun soll es konkret werden: Durch die Realisierung des Vorhabens wird ein Ort der kollektiven Erinnerung an den Bergbau in Recklinghausen geschaffen.

Worum geht es in dem Projekt „Erinnerungen an Blumenthal“: Was sind die Ziele und auf welche sichtbaren Ergebnisse darf man sich freuen?

Dr. Johanna Lohff: In dem Projekt geht es darum, einen Erinnerungsort an die Zeche General Blumenthal zu schaffen. Ziel ist es, eine Unterführung auf der Kunstmeile in Recklinghausen zu gestalten. Die Gestaltung beruht auf einem Entwurf, den Teilnehmer des Geschichtskreises General Blumenthal – ehemalige Bergleute des genannten Bergwerks mit den Schächten 1, 2 und 6 – geschaffen haben und der von Street Art Künstlern angepasst und umgesetzt wird. Für ihren Entwurf haben die Bergleute historische Ansichten der Zeche sowie Aufnahmen von untertage zusammengestellt. Gerade klären wir noch Urheberrechtsfragen zu einigen Fotos, die man auf der Homepage der Kunsthalle Recklinghausen einsehen kann. Sichtbares Ergebnis des Projektes wird die fertige Gestaltung der Unterführung sein.


Welche AkteurInnen sind in das Projekt eingebunden und wie kam es zu der Zusammenarbeit der Projektbeteiligten?

Johanna Lohff: Das Projekt hat tatsächlich einen längeren Vorlauf gehabt. In einem vorangegangenen Projekt im Institut für Stadtgeschichte in Recklinghausen wurden Workshops zum ehemaligen Zechengelände durchgeführt und Vorschläge für eine Neugestaltung des angrenzenden Areals gesammelt. Während das ehemalige Zechengelände gerade vermarktet wird, sind die Kunstmeile und das angrenzende Naherholungsgebiet wichtige Verbindungen zwischen Wohn- Einkaufs- und Industriegebiet im Paulusviertel. Der Geschichtskreis General Blumenthal hat sich an dem Projekt beteiligt und unter der Leitung der Künstlerin SARIDI. und mir den Entwurf geschaffen. Das Projekt „Erinnerung an Blumenthal“ ermöglicht es nun, die Idee nochmals konkret anzupacken und umzusetzen.

Hans-Jürgen Schwalm: Die Kunsthalle Recklinghausen ist auch für die Kunst im öffentlichen Raum der Stadt zuständig und nimmt diese Aufgabe sehr ernst. Denn jede künstlerische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum zeigt seine große Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben in modernen Gesellschaften.
Dabei definiert sich der öffentliche Raum als ein offener Kommunikations- und Begegnungsraumraum. Er ist Treffpunkt, Ort des Austausches, der Interaktion, ist Ort für Konflikte und des Interessenausgleiches, Ort des Lernens und Ort für Ausschluss und / oder Integration. Durch Gestaltung (Kunst) schafft er Identität und Verbundenheit, gibt er Orientierung und vermittelt gesellschaftliche Werte. Nur wenn man sich mit einer Sache oder einem Ort identifiziert, will man etwas bewahren, kann man Begeisterung wecken und andere mitziehen, ist man konfliktbereit und lässt den kritischen Diskurs zu, ist man ein Multiplikator.
Mit der Kunst im öffentlichen Raum haben Künstler*innen immer wieder die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Themen gelenkt und somit der Kunst eine Aufgabe neben oder gar außerhalb ihrer ästhetischen Funktion zugedacht. So thematisiert sie etwa historische oder aktuelle Bezüge zum Ort oder lenkt den Blick auf Defizite, Missstände, Versäumnisse, die im öffentlichen Interesse stehen.

 

 

Wie trägt der Geschichtskreis zum Projekt bei und warum ist die Einbindung der ehemaligen Bergleute in diesem Vorhaben so wichtig?

Rolf Euler: Die Einbindung des Geschichtskreises ist wichtig, weil wir diejenigen sind, die von der Zeche wissen. Wir haben die Erfahrung, wir haben die Geschichte selbst miterlebt.

Dieter Frowein: Wir waren jahrzehntelang übertage, untertage, da kennen wir die Materie.

Rolf Euler: Der Bergbau war in dieser Stadt so präsent. Wir hatten hier drei große Bergwerke mit insgesamt ca. 13.000 Bergleuten. Wenn man die Familien, Angehörigen, Zulieferer bis zum Budenbesitzer dazu nimmt, sieht man, dass die Stadt durch den Bergbau groß geworden ist. Weil fast alles davon heute weg ist, greift man auf die Geschichten der Bergleute selbst zurück. Unser Beitrag ist ja sehr gering. Wir haben jetzt 16 Fotos geliefert und das Modell der Brücke als Entwurf, aber was dahinter ist an Geschichte, was unsere Kollegen erlebt haben, lässt sich auf den Wänden gar nicht zeigen.

Rudi Turinsky: Es geht darum, die Erinnerung wach zu halten. Es gab hier zum Beispiel unheimlich viele Gaststätten, die heute nicht mehr da sind. Auch die Traditionen verschwinden, ob das der Taubenzüchterverein ist oder andere Vereine – das ist alles weg. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Zusammenhalt unter den Bergarbeitern etwas Besonderes war. Das sollte eigentlich weitergegeben werden. Ich denke, dass die Wandgestaltung in der Unterführung ein guter Ort ist, daran zu erinnern, vor allem für die Jüngeren.

Rolf Euler: Die Zechenbahn war schon jahrelang außer Betrieb, als der Pütt noch lief. Wenn auf der Strecke jetzt eine Fahrradtrasse ist - wie ja an anderen Stellen im Revier auch - dann hat man die Möglichkeit, mit ein bisschen Fantasie die Verbindungswege der Kohle nachzuvollziehen, vom Bergwerk bis zum Hafen am Kanal zum Beispiel.

Rudi Turinsky: Früher fuhren Kohlezüge auf der Strecke, heute fahren dort Radfahrer und es sind Fußgänger unterwegs.

Rolf Euler: Die Unterführung ist ein kleiner Beitrag dazu, sich den Bergbau insgesamt aber vor allem die Schachtanlage General Blumenthal 1,2,6 nur ein stückweit ins Gedächtnis zu rufen. Da bis auf den Lokschuppen, das Maschinenhaus und den Pferdestall davon nichts übriggeblieben ist, müssen wir mit Bildern arbeiten, um an diesen speziellen Ort zu erinnern.


Das Projekt trägt sowohl zur kreativen Gestaltung des Ruhrgebietes als auch zur historischen Auseinandersetzung mit dem Standort bei - Wie gelingt es die Brücke von Bergbau-Vergangenheit zur Gegenwart geschlagen?

Johanna Lohff: Der Gestaltungsentwurf für die Unterführung fußt auf historischen Ansichten des Bergwerks General Blumenthal 1, 2 und 6. Er nimmt direkten Bezug auf den Ort, der sich heute im Wandel befindet: Das Zechengelände ist saniert und wird demnächst neu bebaut. Auf diese Weise bringt man Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Man sieht, wie sehr sich der Ort schon verändert hat.

Dr. Hans-Jürgen Schwalm: Seit 2014 die »Mückenhäuser« von Michael Sailstorfer installiert wurden, die gleichzeitig auch eine Beleuchtungsfunktion besitzen, spricht man von der Kunstmeile. Die Gestaltung der Unterführung ist eine von mehreren Bausteinen, die gerade umgesetzt werden, um die Kunstmeile zu einem Anziehungspunkt zu machen und die Aufenthaltsqualitäten zu steigern. Nachgedacht wird bereits über künstlerisch gestaltete Sitzmöbel, ein Beleuchtungssystem und ökologische Interventionen wie Blühstreifen, von denen erste bereits angelegt wurden.
Die »Mückenhäuser« von Michael Sailstorfer definieren die Qualität für weitere Werke der Bildenden Kunst auf der Kunstmeile: Als autonome Werke besitzen sie große Originalität und eine hohe Komplexität, lassen sie Inhalt und Form überzeugend verschmelzen. Sie definieren vor allem einen Ort und lassen ihn in seinen historischen wie auch aktuellen Bezügen erlebbar werden. Sie sind nicht kurzlebig wie die medialen Bilder der Gegenwart, sondern beanspruchen Aufmerksamkeit, stellen sich sprichwörtlich in den Weg und lassen ein besonderes, immer auch assoziationsoffenes Erleben zu. Damit sind die Weichen für weitere künstlerische Interventionen gestellt.

 

Wie ist der aktuelle Umsetzungsstand im Projekt und ab wann kann man die Ergebnisse auf der Kunstmeile besichtigen?

Johanna Lohff: Es finden regelmäßige online-Treffen mit dem Geschichtskreis statt, in dem wir das Projekt voranbringen. Die Teilnehmer haben in diesem Projekt ihren Entwurf nochmals angepasst. Er liegt jetzt verschiedenen Künstlern vor, die basierend auf dem bestehenden Entwurf der Bergleute einen konkreten Vorschlag zur Umsetzung beisteuern. Einer der Vorschläge wird in einem Wettbewerbsverfahren ausgewählt. Die Umsetzung vor Ort ist für Ende Mai / Juni geplant.

 

Text: AntragstellerIn / ecce