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Bauhaus und Fridays for Future - zwei Bewegungen, eine Frage

Von 6.-18. Dezember 2019 wird der Film "Prozession der Moderne" an sieben Orten in Bochum und Oberhausen im ausgestrahlt.

© mythen der moderne

Zwei Hände, die auf einer indischen Tabla trommeln. Der rhythmischer Klang korrespondiert mit dem kleinen Quadrat in Graustufen, das größer und kleiner wird, verschwindet, um in immer neuen Rechteck-Variationen zu erscheinen.
Der kreisförmige Schriftzug mythen der moderne erscheint und von links schiebt sich das Bild einer Architektur über den Schwarzweiß-Film, während die Hände im Hintergrund weiter den Takt vorgeben. Die Aufnahme zeigt die Ruhr Universität Bochum, mit dem Platz vor dem Audimax von oben und eine kleine tanzende farbenfrohe Menschenreihe:
Die Prozession der Moderne.

Gemeinsam mit Grundschulkindern aus Bochum und Oberhausen in einem bunten Umzug um die Häuser zu ziehen, war der Ausgang des Konzeptes von Prozession der Moderne der Künstlerin Pia Janssen. Wobei es sich bei den ''Häusern'' um zwei Ikonen der Moderne im Ruhrgebiet handelt: Das ehemalige Zentrallager Gutehoffnungshütte in Oberhausen (heute das LVR-Industriemuseum) und das Audimax der Ruhruniversität in Bochum. Mit dem partizipativen Kunstprojekt werden Artefakte der architektonischen Moderne und Grundelemente der Bauhaus-Pädagogik mit den aktuellen Fridays for Future-Demon-strationen verknüpft.
Während die Bewegung Fridays for Future in 2019 ihre Premiere feierte, jährt sich das Bauhaus bereits zum 100. Mal. Und obwohl die Bewegungen 100 Jahre auseinander liegen, eint sie ihr Blick in die Zukunft, verbunden mit der Frage: ''Wie wollen wir leben''

Freiheit und gemeinsamer Geist

Dieser Frage sind rund 100 Grundschulkinder in einwöchigen Workshops in Ganztagsschulen in Bochum und Oberhausen nachgegangen. Als Vorbereitung hatten die Kinder bereits im Vorfeld ein von der Künstlerin gestaltetes Heft erhalten, anhand dessen sie sich im Unterricht mit den Themen Bauhaus, Moderne und Recycling auseinandersetzten. In den Workshops nahm jedes Kind an allen drei Disziplinen teil: Tanz, Musik, Objekt- und Kostümbau. Die Kinder brachten Neugier, Lust zum Experiment und ihren gesammelten Plastikmüll mit, den sie in Musikinstrumente und Objekte verwandelten. Angeleitet wurden sie dabei von den KünstlerInnen Malin Harff, Ivan Strelkin, Francesca Best, Katharina Reißdorf, BPJ, Carlotta Lösch-Will und Pia Janssen. Doch im Gegensatz zum üblichen Schulunterricht wurden die Kinder dazu ermuntert ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Dass es dabei kein „richtig“ und „falsch“ gab, war eine Freiheit, die viele Kinder aus dem Kindergarten- oder Schulbetrieb nicht kannten. So gab es seitens der Workshop-LeiterInnen zwar Unterstützung im Schaffensprozess jedoch keine Vorgaben, was genau gebaut wird. Gemeinsam mit den Kindern begaben sie sich auf ein Terrain des Unbekannten – die grundsätzliche Ausgangssituation für Experimente. Gefordert war also ein Umdenken – weg von Konkretem, hin zum Ungewissen; es ging nicht darum, eine Form zu wahren, sondern um den Prozess an sich.
Zudem waren die Workshops durch einen gemeinsamen Geist getragen, der sich im Rotationsverfahren widerspiegelte. Da sich die Kinder jeden Tag in einem anderen Feld probieren konnten, sorgte dieses Verfahren kurz für Irritation, denn: Angefangene Arbeiten, wie etwa Masken oder Choreografien, wurden am Folgetag von anderen Kindern weiterentwickelt. Somit wurde das „Dein und Mein“ aufgelöst und das Arbeiten an einer gemeinsamen Sache stand im Vordergrund.

Mit dem Tourbus zur Prozession

Während die Workshops – vormittags in Oberhausen und nachmittags in Bochum – noch getrennt voneinander stattfanden, trafen zur Prozession alle Workshop-TeilnehmerInnen an beiden Orten gemeinsam aufeinander. Für Pia Janssen, Initiatorin und künstlerische Leitung des Projekts, ging das Konzept auf: „Wir sind geradezu beseelt aus der Workshop-Woche mit den so diversen Kindern herausgegangen. Die Kinder waren alle mit ernsthaftem Eifer bei der Sache, so lebendig und kraftvoll und voller Konzentration. Auch haben sie die partnerschaftliche Herangehensweise und den – für die meisten bisher unbekannten – Ansatz, dem Schaffensprozess Priorität zu geben, gut angenommen. Und als die Gruppen aus Oberhausen und Bochum das erste Mal beim Audimax zusammen kamen, zeigten sie sich stolz gegenseitig ihre geschaffenen Objekte und tauschten sie miteinander. Gerade dieses Selbstverständnis, mit dem die Kinder bei der ersten Begegnung aufeinander zugingen, war beeindruckend.“
Zwei Reisebusse, organisiert durch die Kooperationspartner AWO Bochum und LVR-Industriemuseum, transportierten die Kinder von einem Ort zum anderen. Und so tourten die Kinder am 26. Juli – wohlgemerkt in der heißesten Woche des Jahres – nach Bochum und Oberhausen, um gemeinsam um das Audimax und das ehemalige Zentrallager Gutehoffnungshütte (heute das LVR-Industriemuseum) zu „prozessieren“. Vor Ort umkreiste dann die bunte Kinderschar mit den selbstgestalteten Plakaten, Masken und Objekten, lärmend die Gebäude.

Die Prozession als kreativer Protest

Doch warum ist es sinnvoll, Kinder zu einer Prozession um diese Bauten der Moderne zu bewegen? Bedient man sich des Dudens, offenbart sich ein weites Spannungsfeld: die Prozession bedeutet hauptsächlich einen Umzug in einer vorgegebenen Route und findet sich in so gut wie jedem Kulturkreis. Gedacht sei an Festumzüge zu Karneval, Fußballfeiern oder auch Technopartys, religiöse Prozessionen zu Feiertagen und politische Demonstrationen.  
Befreit man das Wort von seinem Suffix bleibt der Prozess (beide Worte haben ihren Ursprung im lateinischen procedere). Dieser kann sich entweder auf den zeitlichen Aspekt beziehen – wie er bereits während der Workshops im Zentrum stand. Oder man greift die juristische Bedeutung auf: Der Prozess, ein vor Gericht ausgetragener Rechtsstreit. In dieses Bedeutungsumfeld reiht sich auch das Prozessieren ein: Anklagen, einen Anspruch zu erheben. (Quelle: Duden online) Nichts anderes tut letztendlich die seit rund einem Jahr aktive Fridays-for-Future-Bewegung: Angeklagt werden die für den Status Quo verantwortlichen Entscheidungsträger, es wird Anspruch auf einen zukunftsfähigen Planeten für die nachfolgenden Generationen erhoben. Die Spätgeborenen haben eine Last zu tragen, für die sie nicht verantwortlich sind und werden dennoch damit konfrontiert sein, Lösungen für Probleme großen Ausmaßes finden zu müssen. Hierfür braucht es Querdenker und Experimentierfreudige.
„Die Welt neu denken“ war die Leitlinie des Bauhauses und wird vermutlich die Aufgabe der nachfolgenden Generationen sein. Insofern wurde den Kindern durch die „Prozession der Moderne“ spielerisch vermittelt, dass sie Teil der Gesellschaft sind und eine Verantwortung für ihre Zukunft tragen. Zugleich wurde ihnen kreatives Handwerkszeug für gemeinsames Gestalten und politisches Handeln mitgegeben.

Das Geschaffene weitertragen

So wie die Kinder in die Öffentlichkeit gingen, soll auch die Prozession der Moderne nochmals in die Öffentlichkeit getragen werden. Wie eingangs beschrieben, ist der Film Teil des Projektes; professionelle Kameraaufnahmen wurden kombiniert mit Smartphone-Filmen der Kinder, die sie während des Workshops machten. Und Drohnenaufnahmen zeigen imposant die beiden Gebäude während des Umzuges. So ist ein Film zu sehen, von und mit den Kindern und eben doch kein Kinderfilm. Es ist eine ca. 15-minütige künstlerische Arbeit, getragen von der Frage: „Was treibt Menschen dazu, in den öffentlichen Raum zu gehen?“
Der Experimentalfilm „Rhythmus 21“, des Bauhaus-Künstlers Hans Richter, ist dem gesamten Video unterlegt. Er gilt als Schlüsselfilm der Moderne. Die verwendete Version hat der amerikanische Musiker Tom Teasley „reimaged“; man sieht seine Hände auf einer elektronischen Korg Wavedrum mit Tabla-Sound spielen. Somit wird auch hier die klassische Moderne in unsere heutige Zeit übertragen. Hans Richter hatte zu seinem Film gesagt: „Gedanken und Rhythmus finden ihre Verbindung im universellen menschlichen Dasein, es ist das Lebensprinzip aus dem Zukunft entspringt“.
Verwoben sind die Bilder aus Bochum und Oberhausen mit Found-Footage-Dokumentationen diverser kultureller Umzüge, (politischer) Demonstrationen und Aufnahmen aus dem Werk der amerikanischen Popart Künstlerin Corita Kent. Und während im Hintergrund die klaren Formen, Linien und Farben des Bauhauses laufen, verbinden sich die Botschaften der Kinder mit Drohnen-Aufnahmen der umkreisten Baukörper. Der aufmerksame Zuschauer findet zudem Verweise auf Bauhaus-KünstlerInnen, AutodidaktInnen und AktivistInnen wie Ugo Betti oder Assata Shakur.
Durch diesen Film, welcher durch den IKF Feuerwehrtopf realisiert werden konnte, bleibt die „Prozession der Moderne“ keine singuläre Aktion, sondern wird für jeden erfahrbar. Wenn der Film an sieben Orten im Dauerbetrieb ausgestrahlt wird, erobert die bunte Prozession der kommenden GestalterInnen jedes Mal aufs Neue den öffentlichen Raum und das Bewusstsein der ZuschauerInnen.


Ab dem 6. bis 18. Dezember wird der Film an sieben Orten in beiden Städten ausgestrahlt.
Die Außenprojektionen laufen täglich von 17 - 21 Uhr.

Orte der Ausstrahlung

BOCHUM             Vernissage am 6.12.2019 um 17:30
                              in der Wittelerpassage

- Atelier Kolorit | Südring 6a

- Wittelerpassage | Bongardstraße 2

- Kunstmuseum Bochum | Kortumstraße 147


OBERHAUSEN      Finissage am 18.12 um 17:00
                               im Unterhaus

- Unterhaus | Friedrich-Karl-Straße 4

- Ehemaliges Ladenlokal | Steinbrinkstraße 220

- Stadtteilbüro Osterfeld | Gildenstraße 20

- LVR- Industriemuseum | Essener Straße 80