| News, Kreativ.Quartiere Ruhr, Echt.Nordstadt, Dortmund

appARTment.ruhr - Eine Nacht am Dortmunder Borsigplatz

Eine Nacht am Borsigplatz: Drei Vereine bieten mit dem Projekt „appARTment.ruhr“ zwei Gästewohnungen an, die durch die Künstlerinnen Silvia Liebig und Caro Fugazzi einen ganz besonderen Charakter bekommen haben.

© Volker K. Belghaus

„Übernachten? In einer Ferienwohnung am Borsigplatz? Das geht?“ entgegnet der ältere Herr ungläubig auf die Frage, ob das die richtige Straßenbahn zum Borsigplatz sei und der seiner Antwort („Ja, sicher!“) die direkte Frage folgen lässt, was man dort denn wolle. Doch, er hat richtig gehört. Das geht. Oder besser: Es soll gehen. Wenn alles glatt läuft. Ab Anfang 2019, wenn die momentan laufende Test- und Pilotphase zum „appARTment.ruhr“ erfolgreich abgeschlossen sein soll.

Die Idee und der Ort sind tatsächlich ungewöhnlich. Der runde Borsigplatz in der Nordstadt, auf den sternförmig mehrere Straßen zuführen, ist ein urbaner Konzentrationspunkt. Das hier ist Dortmund pur – die Herzkammer des BVB, die industrielle Vergangenheit mit der früheren stahlkochenden Westfalenhütte, ein multikultureller Hotspot. Spannend, bunt, lebendig, kreativ.

Hinter der Idee der „appARTment.ruhr“ steckt ein gemeinsames Projektteam der drei Vereine ConcordiArt e.V., KulturMeileNordstadt e.V. und der Machbarschaft Borsig11 e.V., die 2017 mit der Unterstützung von ecce (european center for creative economy) eine Landesförderung im Programm Kreativ.Quartiere Ruhr beantragt haben.

Nun gibt zwei außergewöhnliche, künstlerisch gestaltete Ferienwohnungen, die dazu einladen, das Kreativ.Quartier rund um den Borsigplatz und die angrenzende Nordstadt zu erkunden und neu kennenzulernen. Sie sollen helfen, das etwas ramponierte Image der Nordstadt durch eigene Erfahrungen zu verbessern. Für die Gestaltung der „appARTments“ schrieben die Organisatoren einen Wettbewerb aus, in dessen Rahmen zehn Finalisten in die engere Auswahl kamen. Die Künstlerinnen Silvia Liebig und Caro Fugazzi waren mit ihren Konzepten am Ende die Sieger, um die Wohnungen, die von der Vivawest zur Verfügung gestellt werden, besonders zu gestalten.

Silvia Liebigs Wohnung steht unter dem Motto „you are here“, was besonders im Schlafzimmer deutlich wird. Zwei große, gemalte Karten beherrschen den Raum – die größere zeigt die kulturellen Orte in Dortmund: Das domicil, das Dortmunder U aber auch Haltestellen und Cafés. Die andere Karte konzentriert sich auf die Umgebung rund um den Borsigplatz und bietet einen Überblick über Gastronomie, Geschäfte, Sehenswürdigkeiten und kulturelle Angebote. Die Gäste dürfen den Karten mit Hammer und Nagel eigene Tipps hinzufügen. So entstehen immer genauere Karten; eine Art analoges Google Maps.

Liebigs bunt gestaltete Wohnung strotzt nur so von Ideen – als Lampen dienen alte Globen, die Möbel sind größtenteils mit alten Konzert- und Ausstellungsplakaten aus der Dortmunder Kulturszene beklebt und können durch Rollen verschoben werden. In der Küche hängt eine Wand voller Abreissblocks, entweder mit internationalen Rezepten zum Selberkochen (und Hinweisen, wo man die Zutaten im Viertel bekommt) oder als Wegweiser in die bunte und multikulturelle Gastroszene rund um den Borsigplatz. Im Wohnzimmer hat Silvia Liebig ein „Heimatmuseum“ installiert, eine lange Reihe von Einmachgläsern, deren besondere Inhalte Geschichten aus Dortmund und der Nordstadt erzählen. Etwa die beiden Zwiebackverpackungen aus Deutschland und der Türkei, deren wonneproppige Werbekinder optisch einander sehr nah sind. Oder ein historisches Bierglas der Union-Brauerei, wie es sie gab, bevor die Eichstrichverordung ihnen ein Ende machte.

Völlig gegensätzlich dazu ist die avantgardistische Wohnung der Bildhauerin Caro Fugazzi, die die stählernde, industrielle Vergangenheit der Stadt als Vorgabe gewählt hat. Klar, kantig, minimalistisch – äußerst „steelvoll“ wohnt man dort. Für Menschen, die sich am Tagesende gern mal auf ein weichgepolstertes Sofa fallen lassen, ist das zwar nichts, aber das muss es auch nicht. Hier zu übernachten, ist eben eine besondere und nicht alltägliche Erfahrung. Fugazzi hat dunkle Stahlskulpturen entworfen, die sie „Ameisen“ nennt und damit auf die harte Maloche der Industriegesellschaft anspielt. Diese Skulpturen haben unterschiedliche Höhen und Ausführungen und dienen als Möbel. Sie sollen unterschiedlich genutzt werden – als Liege, Bank oder als Tisch, wie man es gerade braucht. Richtig unbequem sind sie mit Nackenkissen oder Decken versehen nicht, nur etwas ungewohnt auf Dauer. Die kantige Bauweise mit mehreren Ebenen macht aus der „Ameise“ in der Küche ein Möbel mit vielen Funktionen, hier sind auch Hocker in verschiedenen Höhen zu finden. Das Schlafzimmer ist mit einem großen, runden Bett ausgestattet, das mit einem schwarzen Laken und filigranen Schlafsäcken die minimalistische Formensprache weiterführt.

Als Mieter der Wohnung muss man sich daran gewöhnen, die „Ameisen“ auch zu nutzen und sie nicht nur wie Kunstwerke respektvoll zu bestaunen. Fugazzis reduzierte Wohnung mit den weißen Wänden ist von fast klösterlicher Kargheit, wenn da nicht die kleinen, tollen Details wären: Die typisch vergitterten Baustellen- oder Kellerlampen an der Decke, die gleißende Industrielampe im Flur – für die zur Not eine Schweißerbrille am Haken hängt – oder die drei Mörtelbecher aus schwarzem Gummi, die im Bad die Ablage für Zahnbürste und Kamm ersetzen.

Geht es nach den Machern, soll sich das Projekt „appARTment.ruhr“ auf lange Sicht zu einem dezentralen Gästehaus entwickeln. Mit unterschiedlich gestalteten Wohnungen, kombiniert mit Co-Working-, Kultur- und Freizeitangeboten. Übernachten am Borsigplatz? Doch, das geht. Tatsächlich.

 

Text: Volker K. Belghaus