| FER17, Statements

Prof Dieter Gorny

Statement Prof Dieter Gorny beim #FER17

© BVMI/Markus Nass

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Thomas Kufen,

sehr geehrte Frau Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen,

sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Karl-Uwe Bütof,

sehr geehrter Herr Abgeordnete Dr. Christian Ehler,

sehr geehrte Frau Barbara Gessler,

sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Kultur- und Wirtschaftsministeriums NRW,

sehr geehrte NICE Jury und Gewinner des NICE Awards 2017,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

In der Morgendämmerung des Humanismus, verschmolzen Ästhetik, Wissen und Ethik zu einem neuen Menschenideal.

In der Gegenwart weitet sich die Zentrifugalkraft der Kunst auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aus.

 

Vor gut 500 Jahren löste sich der Kunstbegriff von seinem Handwerk-Status und wurde allmählich als den artes liberales zugehörig anerkannt, die Künstlerinnen und Künstler genossen hierdurch wissenschaftliches und politisches Ansehen.

Derzeit erleben wir erneut eine beschleunigte Ausweitung der Kunstzone, mit allen strittigen und erregten Auseinandersetzungen, die aber wichtig sind wenn es um Kunst und Kultur und deren tatsächliche oder vermeintliche neue gesellschaftliche Rolle geht.

Die FAZ stellt in diesem Zusammenhang bemerkenswert fest: "Es ist, als gerate der Gesellschaftsvertrag, der die Kunst vom Leben schied und ihr im Gegenzug Autonomie gewährte, ins Wanken."

 

Auch Olafur Eliasson formuliert nicht künstlerisch zweckfrei wenn er sagt: "Just like a building, an artwork is, essentially, a relationship. It is reality-producing."

Und dann noch die Technologie, besser die digitale Revolution, die unsere Wahrnehmung und die Möglichkeiten uns mitzuteilen und teilzuhaben förmlich auf den Kopf stellt.

Tessa Jowell, die ehemalige britische Kultusministerin hat das in einer Rede treffend auf den Punkt gebracht: "Dies ist eine Zeit dramatischer Veränderung. Zwei Welten, die Kultur und die Technologie, sind aufeinander getroffen und bilden ein Universum der neuen Möglichkeiten und neuen Gelegenheiten, um auf Inhalte zuzugreifen, sie zu konsumieren und zu erschaffen", was natürlich in direkter Weise auch die Kunst und die Kultur betrifft, durchaus positivistisch formuliert, mit enormen gesellschaftlichen Zuwachsmöglichkeiten an Erkenntnis, Kreativität und Horizonterweiterung.

 

Erinnern wir uns: Mit dem Humanismus verschmolzen Ästhetik, Wissen und Ethik zu einem neuen Ideal. Heute weitet sich, wie gerade beschrieben, die Bedeutung der Kunst und Kultur auf Gesellschaft, Politik und nicht zuletzt auch auf die Wirtschaft aus.

Die EU beschreibt das treffend in ihrem "Draft Report on a coherent EU policy for cultural and creative industries", und stellt fest:

"the Commission recognises the key role of cultural and creative industries for the social and economic development of the EU; whereas Culture and Creative Industries have dual value, as they preserve and promote cultural and linguistic diversity, and strengthen European and regional identity, while sustaining social cohesion. Culture, art, creativity: this is the true image and asset of Europe in the world! In 21st century Europe, with the transition to the digital economy, Culture and Creative Industries are increasingly replacing traditional manufacturing processes and traditional value chains. Today, the production of quality content, the ability to innovate, to narrate, to imagine, to evoke emotions, have become our most precious materia prima. One to cultivate, support, promote and defend."

 

Erinnern wir uns: Vor gut 500 Jahren genossen die Künstlerinnen und Künstler, vor dem Hintergrund eines neu entstehenden Kunstbegriffes, vermehrt auch wissenschaftliches und politisches Ansehen. Derzeit erleben wir erneut eine intensiv diskutierte Entgrenzung der Kunst – eine Ausweitung der Kunstzone. Wer den ästhetischen Schock und die Faszination der Zeitgenossen eines Michelangelos nachempfinden möchte, setze die Virtual-Reality-Brille auf.

Blicke ins Unendliche, immersive Welten – auch heute werden sinnliche Erfahrungen erlebbar, die bisher unzugänglich waren. Neuentwicklungen der Digitalisierung potenzieren die Gestaltungsmöglichkeiten von Kunst und Kultur: ein geradezu revolutionärer Blick über den Tellerrand, oder gar "eine Verwissenschaftlichung der Kunst wie in der Renaissance – eine Renaissance 2.0"?, wie sie Peter Weibel, Direktor des ZKM Karlsruhe, beschreibt.

Entstehen hier Umrisse eines neuen Kunstbegriffs? Kunst, Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende machen sich Anliegen und Errungenschaften aus Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft zu Eigen.

Konzerne wie Google, aber auch öffentliche Netzwerke wie das medienwerk.nrw spielen bei der Vermittlung, Rezeption und Weiterentwicklung von Kunst und Kultur eine immer gewichtigere Rolle. Tradierte Konzepte der Kultur, der Politik und der Wirtschaft geraten in Bewegung.

Kunst und Kultur lösen gesellschaftliche Debatten aus.

 

Was heißt das nicht nur für Kulturpolitik heute? Wie konzipiert man gegenwartsgerechte Förderprogramme? Ist es an der Zeit, einem erweiterten Kunst -und Kulturbegriff, wie dieser zunehmend auch von den Künstlerinnen und Künstlern selbst gefordert wird, nachzugehen – nicht bloß interdisziplinär und crossmedial, sondern durchweg crosssektoral?

 

Diese Fragen stehen im Fokus des diesjährigen Forums und diese möchten und müssen wir diskutieren und dies nicht nur im Rahmen des Forum Europe Ruhr – aber eben auch da!