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Dr Christian Ehler MEP

Statement Dr Christian Ehler MEP beim #FER17

© Frau Laurence Chaperon

Sehr geehrter Professor Gorny,

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kufen,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Zunächst möchte ich mich herzlich für die Möglichkeit, heute zu Ihnen zu sprechen, bedanken. Besonders möchte ich mich beim "European Centre for Creative Economy", und vor allem bei Herrn Professor Gorny für Ihre Einladung danken. Es freut mich sehr, dass das ECCE seit 2012 regionale Interessenvertreter und Repräsentanten der europäischen Kreativwirtschaft zusammenbringt. Auf diese Weise gibt uns diese Veranstaltung die Chance uns über die Zukunft von Kunst und Kultur, die finanzielle Unterstützung der Kreativwirtschaft oder den Einfluss der Digitalisierung auf die Kultur auszutauschen. Dies ist von besonderer Bedeutung mit Blick auf die laufenden europäischen Diskussionen über den digitalen Binnenmarkt und die Reform des Urheberrechts.

Angesichts dieser Verhandlungen möchte ich heute auf die neuesten Aktivitäten des Europäischen Parlaments im Bereich Kreativwirtschaft eingehen. In den letzten Jahren haben die Kreativindustrien sich immer klarer als wichtige Säule der europäischen Wirtschaft herauskristallisiert. Die Zahlen sprechen für sich: Kreativindustrien stehen für einen Anteil von 4,4 Prozent am Bruttoinlandsprodukt der EU (mehr als 550 Milliarden Euro). Sie garantieren zwölf Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz in mehr als drei Millionen Unternehmen. Nur um diese Zahlen noch einmal zu verdeutlichen: die Kreativwirtschaft beschäftigt mit 3,8 Prozent der europäischen Arbeitskräfte zweieinhalbmal so viele Menschen wie die Automobilindustrie und fünfmal so viele Menschen wie die Chemieindustrie.

Diese besonderen Möglichkeiten, die die Kreativindustrie für die europäische Wirtschaft eröffnet, werden allerdings durch den sogenannten „Value-Gap“ überschattet. Trotz des rasanten Anstiegs an Konsum von kreativen Gedankenguts haben die Gewinnsummen der Kreativwirtschaft nur disproportioniert zugelegt. Online-Plattformen behalten einen Teil des wahren Wertes kreativer Arbeiten ein, von dem nicht anerkannt wird, dass er eigentlich den Künstlern zusteht. Während die Politik sich noch schwer tut das wahre Potential der Kreativindustrie wahrzunehmen, sind sich Online-Plattformen schon länger der Stärken dieses Wirtschaftsbereiches bewusst, und sie haben einen erfolgreichen Weg entwickelt um den Mehrwert für die Arbeit der Künstler für sich zu reklamieren. Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken habe ich den gemeinsamen Bericht „Eine kohärente Politik der EU für die Kultur- und Kreativwirtschaft“ des ITRE- und des CULT-Ausschusses, der im Europäischen Parlament im Dezember 2016 verabschiedet wurde, mitentworfen (zum Bericht HIER ). Dieser Bericht ist der erste Versuch eine kohärente Ausrichtung der EU-Politik für einen immer größer werdenden Wirtschaftsbereich zu entwerfen. Zum ersten Mal auf europäischer Ebene adressiert dieser Bericht die wesentlichen Herausforderungen für Kreativindustrien.

Zum Beispiel wurde der Wirtschaftssektor der Kreativwirtschaft lange nicht als solcher benannt. Das Fehlen einer klaren Definition stand der politischen Gestaltung, welche die Situation der Kreativwirtschaft hätte beeinflussen können, im Wege.

Aus diesem Grund haben wir uns in dem Bericht auf eine geltende Definition geeinigt:

"Die Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst diejenigen Branchen, die auf kulturellen Werten, kultureller Vielfalt, individueller oder kollektiver Kreativität, Fähigkeiten und Talent basieren und das Potenzial haben, Innovationen, Wohlstand und Arbeitsplätze durch die Schaffung sozialer und wirtschaftlicher Werte insbesondere aus geistigem Eigentum zu generieren. Dazu gehören die folgenden Branchen, die auf kulturelle und kreative Inputs angewiesen sind: Architektur, Archive und Bibliotheken, Kunsthandwerk, audiovisuelle Medien (darunter Film, Fernsehen, Software und Videospiele, und Multimedia und Musikaufnahmen), kulturelles Erbe, Design, durch Kreativität angetriebene Hochqualitätsgüter-Branchen und Mode, Festivals, Livemusik, darstellende Kunst, Buch- und Verlagswesen (Zeitungen und Magazine), Radio, bildende Kunst und Werbung."

Diese Definition ist allerdings nur eine der vielen Errungenschaften des Berichts. Er diskutiert zudem auch die unmittelbaren Herausforderungen der Kreativwirtschaft wie zum Bespiel Fälschungen, das Verbessern von Bildung sowie den Erhalt von Fähigkeiten - den europäischen savoir-faire. Mit diesem Bericht hat das Europäische Parlament eine Vision für die Zukunft dieses Wirtschaftssektors geliefert. Eine Vision, die Wachstum hervorbringen, die das innovative Potential des Sektors entfesseln, und eine faire Gesetzeslage für Künstler und Konsumenten schaffen kann.

Meine Damen und Herren, diese Vision ist auf europäischer Ebene präzedenzlos. Deshalb ist dies der geeignete Zeitpunkt für unser Handeln. Mir ist bekannt, dass eines der dringlichsten Anliegen der hier repräsentierten Regionen der Zugang zu finanziellen Mitteln ist. Grundsätzlich sind alle EU-geförderten Programme den Kreativindustrien geöffnet. Jedoch bleibt die Finanzierung durch die EU bisher hinter ihren Möglichkeiten zurück. Laut einer Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013 ergeben sich die Finanzierungshürden der Kreativindustrien aus deren sehr spezifischen Charakteristiken. Zum Beispiel ist die Risikoabschätzung oder die Ermittlung des Wertes von geistigem Eigentum oftmals problematisch. Dieses Problem müssen wir durch individuell zugeschnittene und zweckorientierte Finanzierungspläne beseitigen. Deshalb müssen wir unter anderem Risikofinanzierungspläne kreieren, aber uns auch eine Expertise bei der Bemessung des Wertes von immateriellen Gütern aneignen. Diese Expertise ist sowohl für den Umgang mit kleinen und mittelständischen Unternehmen aber auch mit Geldinstituten essentiell. Schlichtweg müssen wir einen Mechanismus schaffen, der die Finanzierbarkeit von geistigen Eigentumsrechten erhöht. Europäische Unternehmer müssen die negative Konnotation von Misserfolg ablegen und stattdessen das Risiko einer Niederlage als wichtigen Schritt eines unternehmerischen Lernprozesses pointieren. In einem zweiten Schritt sollten wir außerdem die existierenden Finanzierungsmaßnahmen effektiver nutzen. Hier möchte ich gezielt auf den EFSI und die Creative Europe Guarantee Facility hinweisen. Der EFSI richtet sich gegen Marktlücken und setzt sich für die Mobilisierung von privaten Investitionen ein. Obwohl sie in dem Programm als prioritär gelistet sind haben Kreativindustrien bisher jedoch noch keine Förderung durch EFSI-Mittel erfahren. Währenddessen fließen allerdings EFSI-Mittel in Milliardenhöhe vorwiegend in Projekte mit weniger Risiken und greifbaren Wirtschaftsgütern, was schlichtweg normale Geldverteilungsverfahren der Europäischen Investitionsbank sind.

 

Kreativindustrien sind aber im Vergleich zu gewöhnlichen EFSI-Projekten zumeist kleine und mittelgroße Unternehmen, die ein höheres Risikopotential für Investitionen bedeuten. Allerdings wissen wir doch alle, dass die Kreativwirtschaft keine umfangreichen Darlehen benötigt. Oft ist ein kleiner Zuschuss ausreichend, um mit der Umsetzung einer Geschäftsidee zu beginnen. Die Kreativwirtschaft braucht keine Milliarden, sie braucht Unterstützung.

Aus diesem Grund haben meine Kollegen und ich vorgeschlagen eine Verbindung zwischen der Creative Europe Guarantee Facility und dem neuen EFSI-Programm herzustellen. Um es konkret zu sagen: Wir wollen die der Kreativwirtschaft in EFSI zugewiesenen finanziellen Mittel in die Guarantee Facility übertragen. Dieses Finanzierungsinstrument als Teil des Creative Europe-Programms umfasst 121 Millionen Euro um die Möglichkeiten der finanziellen Förderung von Unternehmen des Kreativwirtschaftssektors zu verbessern. Sie adressiert das dringliche Bedürfnis nach Zugang zu Kreditfinanzierung von innovativen Projekten und sie ist mit den spezifischen Bedürfnissen der Industrie vertraut. Allerdings ist die Nachfrage extrem hoch und die verfügbaren finanziellen Mittel sind sehr gering. Eine Ausweitung der Förderung ist daher unabdingbar. Dieser Schritt resultiert nicht nur in zusätzlichen Krediten, sondern er beinhaltet, und das ist das wichtigste, die Entstehung von Netzwerken, Erfahrungsaustauschen und neuen Projekten. Weil dieser Transfer einer der Punkte unseres Berichts ist der mir besonders am Herzen liegt, verfolge ich die gegenwärtigen Diskussionen zwischen der Kommission, dem Parlament und dem Rat mit großer Aufmerksamkeit. Aber auch hier ist die Rolle des Parlaments noch nicht beendet.

Wir sind sehr an den Verhandlungen über die Verbesserung von Finanzierungsplänen interessiert und wollen die Kreativwirtschaft als Priorität im Forschungsprogramm Horizon 2020, seinem Nachfolgeprogramm und den EU-Strukturfördermitteln etablieren. Außerdem unterstütze ich drei Pilotprojekte, die momentan im Budget-Ausschuss des Parlaments beraten werden. Diese Projekte verfestigen die Verbindung zwischen Kunst und Technologie, befürworten ein europäisches Musikförderungsprogramm oder stützen den Erhalt von traditionellen Fähigkeiten in der Industrie. Im Parlament wird die Bedeutung der Kreativwirtschaft immer klarer wahrgenommen und wir sind uns unserer Aufgabe bewusst. Wir wissen, dass die Kreativindustrie die Regionen wie keine andere Industrie stärkt. Besonders wertvoll ist sie für die Erweiterung des Angebots an Training, Bildung und Arbeitsplätzen. Zusätzlich trägt sie bedeutend zu anderen Wirtschaftszweigen wie zum Beispiel dem Tourismus bei. Die Regionen sind deshalb ein sehr effizienter Akteur in der Entwicklung von Netzwerken und regionalen sowie grenzüberschreitenden Kooperationen im Bereich der Kreativwirtschaft. Ein Alleinstellungsmerkmal dieser Netzwerke ist die Eigenschaft, Unternehmen verschiedenster Größen miteinander zu verbinden. Durch dieses Merkmal kommt es zum Austausch zwischen internationalen Unternehmen, lokalen mittelständischen Betrieben und kleinen Start-Ups. Ein gutes Beispiel hier ist die High-End-Industrie, in der Unternehmen wie Hermès mit traditionellen Handwerksbetrieben Kooperationen aufbauen. Wie wir sehen können mag dieser Wirtschaftssektor vielseitig sein, aber alle Akteure teilen die gleichen Bedenken. Vereint in regionalen Netzwerken haben Sie - die Kreativwirtschaft - eine starke Stimme. Die Zeit ist gekommen weitere Netzwerke zu gründen und sie stetig zu vergrößern. In diesem Zusammenhang sollte die Kooperation zwischen Kunstschulen, Berufsbildungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen in der Kreativwirtschaft intensiviert werden. Das ist der erste Schritt um das Wettbewerbspotential des kreativen Sektors vollständig zu entfalten. Auf mein persönliches Engagement in dieser Angelegenheit können Sie sich verlassen. Andererseits müssen wir auch auf Sie zählen können wenn wir die Zukunftsgestaltung Kreativindustrien eruieren. Dabei ist es ungenügend auf unser bisheriges Wissen zu vertrauen. Wir müssen in einem offenen Dialog innovative Ideen sammeln, und dazu brauchen wir Ihren Input. Mit den regionalen Ressourcen und den grenzüberschreitenden Netzwerken, rufe ich Sie dazu auf das gesamte Potential Ihrer Branche auszuschöpfen. Kreativindustrien bilden Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen. Sie reichen von Design, Kunst und Schauspielerei bis zu Naturwissenschaften, Technologie und Informationstechnik. Eines der offensichtlichsten Beispiele des Potentials der Kreativindustrie ist „FashionTech!“, welches Designer und Ingenieure zusammenbringt und Projekte zur Verwendung von Smart Textiles und Digitalisierung realisiert.

Ein Beispiel aus Deutschland ist ElektroCouture, das es sich zur Aufgabe genommen hat Technologie als Kleidungsstücke tragbar zu machen. So sind diese Designer sehr erfolgreich darin traditionelle Technologien modisch zu gestalten. ElectroCouture entwickelt neue Batterie- und Smart-Energy-Systeme, die maßgeschneiderte tragbare Technologien hervorbringen. Von neuartigen Ideen wie dieser wollen und brauchen wir mehr. Deshalb sind wir auf Ihr Feedback angewiesen. Bitte erklären Sie uns, was die Zukunft der Kreativindustrien für Sie bedeutet, welche Ziele Sie verfolgen und wie wir Sie bei der Erreichung dieser Ziele unterstützen können. Uns interessieren Ihre Bedenken und Forderungen, damit wir uns mit ihnen befassen und Lösungsvorschläge ausarbeiten können. Ich bitte Sie deshalb gemeinsam ihre Stimme zu erheben. Sie haben die Chance die Vision, die wir mit dem Bericht erschaffen haben, umzusetzen. Stehen Sie für Ihre Industrie ein, sodass wir sicherstellen können, dass die Kreativwirtschaft kontinuierlich wächst. Ich freue mich auf die gemeinsame Zusammenarbeit und bedanke mich hiermit recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.