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atelier automatique und fabrique automatique – kreative Anlaufstelle im Herzen Bochums

Gerade einmal ein Jahr besteht das „atelier automatique“ im Herzen des Bochumer Viktoria.Quartiers, doch erfreut es sich bereits jetzt einer solchen Beliebtheit, dass die Macherinnen am 11. November 2017 ihre Räumlichkeiten um die „farbique automatique“ erweiterten. Diese soll zukünftig neben Workshops vor allem bildende KünstlerInnen beheimaten und eine auf Handwerk ausgelegte Ergänzung zum Atelier nebenan sein.

© Sebastian Becker/ecce

Auf der Rottstraße, unweit vom Bochumer Bermudadreieck und mitten im Viktoria.Quartier, befindet sich seit einem Jahr das Ladenlokal des „atelier automatique “. In einer Lage, die ruhrgebietstypischer kaum sein könnte: Wer aus der Schiebetür des Ateliers hinausgeht, befindet sich in direkter Nähe einer Trinkhalle, einer Kneipe und des Life Erotica, einem Erotikkino. Aber auch das „Rottstr 5 Theater “, die wiedereröffnete „Rotunde “ und das neue „Anneliese Brost Musikforum Ruhr “ sind nur wenige Schritte entfernt. Viele KünstlerInnen behaupten, sie brauchen das echte Leben, um kreativ zu sein. Wo könnten sie das eher finden, als hier? Vielleicht ist dies einer der Gründe, aus denen der „Gemeinschaft zur Förderung und Vernetzung der freien Künste Bochums e.V.“, der die Räumlichkeiten betreibt, sich bereits nach einem Jahr vergrößert. Am 11. November – diesem unsäglichen Karnevalstag – öffnete direkt nebenan eine weitere Stätte des kreativen Schaffens, die „fabrique automatique“. „In erster Linie begreifen wir uns als Arbeitsort und diesen Arbeitsort wollten wir für noch mehr KünstlerInnen ausbauen. Wir haben alle eher den Background der darstellenden Kunst, wir besprechen uns viel und proben. Trotzdem dachten wir, dass es schön wäre, noch mehr Mitglieder zu haben, zum Beispiel aus der bildenden Kunst“, erläutert Josefine Rose Habermehl, eines der Gründungsmitglieder des Vereins: „Eigentlich sollte das „atelier automatique“ ein Raum für alles sein, aber wir haben bemerkt, dass es eine Hemmschwelle gibt, Dreck zu machen. Deswegen haben wir uns überlegt, dass es schön wäre, einen zweiten Raum zu haben, in dem handwerklich gearbeitet werden kann.“ Daher richten sich die neuen Räumlichkeiten auch eher an die VertreterInnen der bildenden Kunst. Hier können sie sägen, schrauben, bauen, werken. Darüber hinaus möchten die Vereinsmitglieder in Zukunft noch den großen Keller, der zu den Räumlichkeiten gehört, ausbauen. Ein Radio- und Hörspielkünstler hat Interesse bekundet, weswegen dort ein kleines Tonstudio entstehen soll. So decken das „atelier automatique“ und die „fabrique atomatique“ nach und nach Bereiche der Kunst ab. „Es wird bereits jetzt viel interdisziplinär gearbeitet“, erzählt Ulrike Weidlich, ein weiteres Mitglied des Vereins, und Josefine fügt hinzu: „Das wird hier irgendwann ein Netzwerk sein, in dem viele unterschiedliche Menschen gemeinsam über die Grenzen ihrer Kunst miteinander arbeiten.“

Josefine hat szenische Forschung studiert und ist ebenso wie Ulrike Teil des Kollektivs Progranauten. Dieses formte sich 2012 als freies Theaterkollektiv in Bochum. Im Fokus der Arbeiten steht der Umgang mit aleatorischen Prinzipien und der Frage, wie die Verantwortung eines Theaterabends mit den ZuschauerInnen geteilt werden kann. Mitglieder der Progranauten waren es unter anderem auch, die damals das „atelier automatique“ mitgründeten und ihre Strukturen nach außen öffneten. „Aus dem Kollektiv ist so ein Wunsch entsprungen, einen Ort zu haben, um zu arbeiten. Als Freiberufler arbeitet man meistens von zu Hause und das ist auf Dauer nicht das Wahre“, erzählt Josefine.

Zur Verwaltung der neuen Räume gründete das Kollektiv gemeinsam den Verein „Gemeinschaft zur Förderung und Vernetzung der freien Künste Bochums e.V.“, aus dessen Mitgliedsgeldern sie die Miete finanzieren. Jedes Vereinsmitglied hat die Möglichkeit die Räume zu nutzen, doch auch Interessierte, die nicht Mitglied sind, können die Arbeitsplätze anmieten. Die Türen stehen für alle offen. So wünschen sich Josefine und Ulrike für die Zukunft, weitere Mitglieder, aber ebenso Menschen vor Ort zu haben, die die Räumlichkeiten zum Beispiel für Workshops nutzen. „Natürlich muss man schauen, ob es zwischenmenschlich passt“, gibt Ulrike zu bedenken, „doch das war bislang selten ein Problem.“ Die persönliche Ebene scheint sehr wichtig, so wirken beide Räume sehr familiär. Nichts erweckt den Eindruck einer Hierarchie, sondern eher des gemeinsamen Entwickelns. Gemeinsam schauen alle, wie sie den Ort weiter ausbauen können. So sind ist der neue Raum noch lange nicht fertig, wird aber sicherlich durch seine Nutzung natürlich ausgebaut und auch die Schaufensterbeleuchtung ist nicht einfach vorgeben, stattdessen werden bei einem Lichtworkshop Ideen dazu ausgetauscht. „Es muss nicht unbedingt unser Logo in das Fenster, mal sehen, was dabei herauskommt“, sagt Ulrike. Gemeinschaftliches Entscheiden. Ähnlich gestaltet sich auch die Rolle des Ateliers und des neuen Ladenlokals nebenan im Viktoria.Quartier. „Wir sind gerade dabei, mit den Institutionen die hier schon länger im Viertel sind, als der Begriff Viktoria.Quartier existiert, zu schauen, wie wir uns definieren wollen. Definieren wir uns als Rottstraße und Umgebung oder wollen wir den Begriff des Viktoria.Quartiers für uns beanspruchen?“, erklärt Josefine. Dazu wurde bereits einen Quartiersstammtisch ins Leben gerufen, der gut besucht wird und auch zukünftig fortbestehen soll. Bei ihren Veranstaltungen gilt ebenso wie bei der Vermietung, dass jeder willkommen ist, ohne elitäre Schwelle. „Es ist schon schön zu sehen, was hier bei Veranstaltungen für verschiedene Leute vorbeikommen. Die Türsteher vom Life Erotica waren besipielsweise bei der Veranstaltung Wege zum Nein – Emanzipative Sexualitäten und queer-feministische Visionen“, berichtet Ulrike. Diese Offenheit ist wichtig, um ein Quartier zu entwickeln und nicht bloß als kreative Instanz nach den eigenen Wünschen zu verändern. Jede/r ist Teil des Quartiers und sollte somit Bestandteil dessen Veränderung sein. Nur so kann ein Viertel erblühen und langfristige Fortschritte bestehen. Die Künstlerinnen und Künstler des „atelier automatique“ und der „fabrique automatique“ scheinen verstanden zu haben, dass es dabei zweitrangig ist, von wem die Ideen kommen: Den Kreativen oder dem Türsteher eines Erotikkinos.

 

Text: Jan Kempinski