Resilienz, Gesundheit, Teilhabe oder Emanzipierung: KulturförderInnen in Europa verfolgen gesellschaftliche Ziele jenseits traditioneller Kultursparten
"Wir interessieren uns sehr für soziale Resilienz", berichtet Michelle Dickson (Director, Strategy, Arts Council England), Direktorin Strategie, des Arts Council England. Die nationale Förderstelle unterstütze sowohl Kunst- und Kulturschaffende als auch GründerInnen, kommunale Projekte und Changemaker in Unternehmen. Museen würden auch geschult, alternative Einnahmequellen zu erschließen, um finanziell unabhängiger zu werden. Ein Pilotprojekt sei der Arts Impact Fund in Kooperation mit der Privatbank Merrill Lynch: Kulturelle Einrichtungen erhalten günstige Darlehen, wenn ihr Angebot sozial ausgerichtet ist und finanzielle Rendite verspricht.
"Wir möchten die Wiederverwendung von digitalen Kulturinhalten in der Bildung und in der Kreativwirtschaft erhöhen." Milena Popova (Head of Re-Use Services, Europeana) ist Leiterin Re-Use Services bei Europeana. Das dazugehörige Portal biete Zugang zu mehr als 50 Mio. Büchern, Musik- und Kunstwerken in digitalisierter Form. Über 3500 Institutionen seien beteiligt. Popova baue die Kooperationen weiter aus und organisiert Online-Wettbewerbe, bei denen Geldpreise für die beste Wiederverwendung digitaler Kulturinhalte ausgelobt werden. Europeana stelle Projekte auch auf der Crowdfunding-Plattform goteo.org vor und lege denselben Betrag, der hier zusammenkommt, noch einmal dazu.
"Nachhaltigkeit und Langfristigkeit liegen uns sehr am Herzen.", erklärt Pia Lange Christensen (Head of the Department, Regional Development, Central Denmark Region), Abteilungsleiterin Regionale Entwicklung, Central Denmark Region. Creating Impact heißt ihre Partnerschaft mit der Universität Aarhus, bei der kulturelle, wirtschaftliche und finanzielle Wirksamkeit von Projekten gemessen werden. Christensen plädiert für Initiativen zum Thema Kultur und Gesundheit. Ihr Projekt Kultur auf Rezept ermögliche kostenlosen Kulturgenuss im Dienst der Gesundheit – nachweislich wirksam gegen Depressionen, bei Angststörungen und Stress. Weitere Angebote in diesem Kontext seien Chorsingen und Tanzen für Parkinsonkranke als auch Leserunden mit Menschen unterschiedlicher Herkunft.
"Das Netzwerken und die Zusammenarbeit ist unsere Mission." Dr. Christian Esch (Director, NRW KULTURsekretariat) sieht das NRW KULTURsekretariat nicht nur als Förder- und Entwicklungsstelle, sondern auch als Think-Tank. Er verweist auf die Veranstaltung Next Level – Festival for Games, eine gemeinsam mit Museen, Ministerien und weiteren Partnern entwickelte interaktive Plattform. In diesem Jahr würden erneut viele Aspekte der Spielebranche beleuchtet und einige Schlüsselfiguren persönlich zusammenkommen. Dass der Spieleentwickler Ubisoft mit an Bord ist, sei ein in Deutschland seltenes Beispiel für eine Kooperation zwischen öffentlichem Sektor und Privatwirtschaft.
"Wir wollen nicht nur die Effizienz, sondern die Effektivität optimieren." Luca Bergamo (Vice Mayor, Cultural Development, Municipality of Rome), stellvertretender Bürgermeister für die kulturelle Entwicklung Roms, verweist auf Art. 27 der Erklärung der Menschenrechte: Das Recht auf kulturelle Teilhabe umfasse auch das am wissenschaftlichen Fortschritt. Doch das Kulturverständnis der DiskussionsteilnehmerInnen stelle allein Wachstum ins Zentrum. Bergamo lässt Bibliotheksbestände ins Umland fahren und veranstaltet Opernaufführungen in Vororten, um Menschen, die fern der innenstädtischen Kulturstätten lebten, Teilhabe zu ermöglichen. Bergamo will damit auch der ökonomischen Verzweckung entgegenwirken. Politik müsse mitbestimmen, wie Individuen das Digitale konsumierten, müsse durchsetzen, dass Kulturprodukte der Industrie nicht nur gut für die Gewinne, sondern auch gut für die Menschen sei.
Text: Isabelle Reiff